Martin Luther und Erasmus
Die Beziehungen zwischen Luther und Erasmus sind ebenso ergiebig wie ungestüm. Theologe und Humanist haben bei der Bibelübersetzung ähnliche Standpunkte, sind sich aber nicht einig in Bezug auf die Erlösung von der Sünde und den Weg zur Seligkeit. Bei Erasmus zählen auch die guten Werke. Luther zufolge ergibt sich das Heil nur aus der Gnade Gottes. Der Streit erreicht seinen Höhepunkt in der berühmten Auseinandersetzung über den freien Willen (1524 – 1526).
Erasmus und Luther
Erasmus (1467-1536) ist ein paar Jahre älter als Luther (1483-1546). In seinen Studien und zahlreichen Reisen (u.a. nach Oxford, Paris und Bologna) bildet er sich zum Humanisten aus, der einen kritischen Blick auf die Theologen wirft: Nur deswegen, weil sie scholastisch ausgebildet sind, seien sie noch nicht bevollmächtigt festzulegen, was gute, angeblich zur Erlangung des Seelenheils notwendige Werke sind. Deshalb interessiert er sich in der Frage des Ablasshandels für Luthers Schriften und widersetzt sich gleich ihm dem „Seelenhandel“.
Luther seinerseits liest mit größter Aufmerksamkeit die kritische Ausgabe des griechischen Neuen Testaments von Erasmus (1517). Erasmus‘ Übersetzung des griechischen Textes ins Lateinische erscheint ihm sehr originalgetreu.
Trotz dieser Übereinstimmungen zieht sich Erasmus allmählich aus der lutherischen Bewegung zurück. Nach der Entführung Luthers nach dem Reichstag von Worms (1521) schreibt Albrecht Dürer, der sich um Luthers Verbleiben sorgt, an Erasmus, damit dieser sich bei den bürgerlichen und kirchlichen Autoritäten für seine Freilassung einsetze. Aber Erasmus hält sich zurück.
Danach entwickeln Erasmus und Luther in der Auffassung von der Freiheit des Menschen gegensätzliche Standpunkte.
Der Streit über die Werkgerechtigkeit
Papst Hadrian VI. wendet sich 1523, kurz vor seinem Tod, an Erasmus, mit dem er befreundet ist. Dieser soll nachweisen, dass er mit der katholischen Kirche darin übereinkommt, dass das Seelenheil durch gute Werke erreicht werden kann. Erasmus verfasst daraufhin die Abhandlung De libero arbitrio (Dt.: Abhandlung vom freien Willen, 1524), die sein Auftraggeber nicht mehr lesen wird. Der Nachfolger Hadrians VI., Clemens VII., verhält sich Luther gegenüber deutlich feindseliger. Luther reagiert sogleich mit einer sehr polemischen Schrift: „De servo arbitrio“ 1525 (Dt.: Über den geknechteten Willen).
Erasmus nimmt eine sehr differenzierte Position zur Frage des Heils durch die Werke ein: seiner Ansicht nach macht das gute Werk den Weg zum persönlichen Heil frei und hängt vom freien Willen (der Entscheidungsfreiheit) dessen ab, der es ausführt.
Luther setzt dagegen, dass der Mensch zwar seinem Willen gemäß handeln kann, aber wie gut die Absichten hinter seinen Taten auch sein mögen, bleiben diese stets Ausdruck des geknechteten Willens und haben nichts mit seinem persönlichen Heil zu tun; allein sein Glaube an die Rechtfertigung durch die Gnade Gottes kann ihn in der Verheißung bestärken. Nur in diesem Glauben kann die Freiheit des Christen gründen und nur durch ihn erhalten seine Handlungen und die daraus folgenden Werke ihren Sinn.
Beide Positionen sind sich näher als man meinen könnte: denn auch Erasmus zufolge gründet der Wille in der Frömmigkeit und im Glauben. Er zieht daraus nicht alle Konsequenzen, weil er sich hauptsächlich um seinen Verbleib in der katholischen Kirche sorgt und dabei auf eine Öffnung derselben hofft.
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