Jean Léopold Frédéric Cuvier, genannt Georges (1769-1832)
Der Begründer der Paläontologie
Er wird in einer bürgerlichen lutherischen Familie in (der vom Herzog von Württemberg abhängigen, aber in französischer Sprache und Kultur lebenden Stadt) Montbéliard geboren. In seiner Familie zählt man sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits sehr zahlreiche Pastoren. Er führt seine weiterführende Schulausbildung am Gymnasium von Montbéliard durch, wo er sich als ein außerordentlich begabter Schüler erweist, Klassenbester in allen Unterrichtsfächern. Als er sich also dem Theologiestudium zuwenden wollte, um Pfarrer zu werden, konnte er kein Stipendium des Prinzen für die Universität Tübingen erhalten. Der Prinz gewährte ihm 1785 ein Stipendium für die berühmte Caroline-Akademie von Stuttgart, eine moderne Schule, auf der er zahlreiche Kenntnisse erwarb, in Wirtschaft, aber vor allem in Geologie, Mineralogie, Botanik, Zoologie, und wo er mehrere Sprachen lernt.
Zurück in Montbéliard, nimmt er einen Posten als Hauslehrer in der Normandie an. Während dieses neuen Vertrages untersucht er die Meeresfauna und begegnet dem Abt Teissier, einem Agronom, Mitglied der ehemaligen Königlichen Wissenschaftsakademie, und Chefarzt des Militärkrankenhauses von Fécamp, der Cuvier für seine bereits begonnenen Forschungen über die Weichtiere interessiert. Der Abt Teissier, beeeindruckt von Cuviers enzyklopädischem Wissen, bringt ihn in Kontakt mit seinen Freunden in Paris, wo Cuvier sich 1795 niederlässt und wo er eine außergewöhnlich schnelle Karriere macht. Zuerst Professor für Naturgeschichte an der Zentralschule des Pantheon, wird er 1799 zum Professor am Collège de France auf dem Lehrstuhl der Naturgeschichte ernannt, wo er Daubenton nachfolgt. Auf Bitten von Etienne Geoffroy Saint-Hilaire, dem Direktor des Jardin des Plantes, wird er 1802 zum Professor für vergleichende Anatomie am Naturgeschichtlichen Museum ernannt, dessen Direktor er 1808 wird.
Bereits berühmt, veröffentlicht er 1812 sein Hauptwerk, Recherches sur les ossements fossiles des quadrupèdes. Er stellt das Gesetz der Unterordnung der Organe auf (die Organe eines Lebewesens wirken aufeinander ein und tragen so zusammen durch eine wechselseitige Reaktion zu einer gemeinsamen Aktion bei), er setzt eine neue Einteilung der Weichtiere fest. Das Prinzip der Wechselbeziehung der Formen (jedes Teil eines Tieres kann durch jedes andere Teil bestimmt werden und alle durch ein einziges) erlaubt ihm, ausgehend von Knochenteilen oder Fossilien ganze Skelette zu rekonstruieren, und so beweist er die Existenz einer ganzen unbekannten Fauna : Cuvier ist der Begründer der Paläontologie. Er verteidigt seine Kataklysmentheorie (Discours sur la révolution du globe, 1815) und wendet sich gegen den Aktualismus, nach dem dieselben Gesetze, die die Naturerscheinungen früher bestimmt haben, dies auch heute noch tun ; in der Katastrophentheorie von Cuvier hingegen können gewisse Ereignisse der Vergangenheit nur durch besondere, häufig gewaltsame Phänomene erklärt werden. Verfechter des Fixismus, wendet er sich gegen seinen Kollegen Lamarck, den wahren Initiator der Evolutionstheorien, der zur selben Zeit die fundamentale Theorie der Verwandlung aller Arten darlegt. Ist Cuviers wissenschaftliches Engagement durch seine protestantischen Wurzeln beeinflusst ? Es ist möglich, dass die Verbindung von Katastrophentheorie und Fixismus ihm eine Erklärung für das Aussterben gewisser Arten lieferte, die den biblischen Schriften konformer erscheint als jede Evolutionstheorie.
Zusätzlich zu seinen wissenschaftlichen Tätigkeiten hatte Cuvier eine wichtige Rolle in den Bereichen des Erziehungswesens und in der Universitätsreform unter Napoleon gehabt. Als Inspektor der öffentlichen Unterweisung 1802, dann als Berater der Universität, organisiert er die Lycées von Marseille, Bordeaux und Nizza. Er organisiert 1810 die Akademien in Oberitalien neu, dann die Hochschulen in den französischen Départements in Niederdeutschland und in den Niederlanden. Er führt 1813 das öffentliche Unterrichtswesen in den bischöflichen Staaten wieder ein und errichtet in Frankreich die kantonalen Komitees für die Leitung der Grundschulen.
Ein mächtiger Mann
Er häuft Verantwortlichkeiten und Auszeichnungen an. Ständiger Sekretär der Akademie der Wissenschaften, wird er 1813 zum Maître de Requêtes, zum Berichterstatter im Staatsrat gemacht, dann 1814 von Ludwig XVIII. zum Staatsberater ernannt, und 1819 ist er Vorsitzender des Innenausschusses des Staatsrates. 1818 Baron, an die Académie Française berufen (wo er 1830 Lamartine empfängt), wird er als konstitutioneller Liberaler 1820 zum großen Universitätsdekan ernannt, einem Amt, von dem er rasch demissioniert. Er spricht sich gegen die Aufnahme der Jesuiten an der Universität aus und weigert sich, unter Karl X. , der ihn zum Würdenträger des Großen Offiziers der Ehrenlegion erhoben hatte, Pressezensor zu sein. Unter der Julimonarchie ist er in der Chambre des Pairs, wird Vorsitzender des Staatsrates, und während all dieser Aufgaben bleibt er Professor am Collège de France. Sein Bruder Frédéric folgt ihm in seinen Funktionen im Staatsrat und in der Verwaltungsleitung der Religionsgemeinschaften nach.
Ein treuer Lutheraner
Er setzt sich bei Napoleon für eine Organisation des lutherischen Gottesdienstes in Paris ein, der 1806 im Oratorium von Les Billettes aufgenommen wird. Er ist 1824 mit den Fakultäten der Evangelischen Theologie beauftragt, und dann 1828 mit der Verwaltungsleitung der nicht katholischen Religionsgemeinschaften ; er befürwortet die Einrichtung zahlreicher Pfarrstellen, vor allem im Gebiet von Montbéliard. Seine Tochter Clémentine hat sich sehr in evangelischen Wohltätigkeitswerken investiert.
Man kennt den Satz von Balzac über den Mann, den er auf die gleiche Stufe wie Napoleon stellte : « Cuvier, der den Globus geheiratet hat ». Mit seinem oft ironischen Geist und seinem autoritären Charakter war Cuviers Einfluss beachtlich.
Weiter im Rundgang
Bibliographie
- Seiten
- www.ucmp.berkeley.edu/history/cuvier.html | Link
- Bücher
- CABANEL Patrick et ENCREVE André , Dictionnaire biographique des protestants français, de 1787 à nos jours, Editions de Paris - Max Chaleil, Paris, 2015, Tome 1 : A-C
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