Élie Marion (1678-1713)
Élie Marion ist einer der wenigen Kamisardenführer und -propheten mit Hochschulausbildung. In seinem Londoner Exil gründet er die Gemeinschaft der ‚Kinder Gottes‘ (auch‚ French Prophets‘ genannt) und setzt alles daran, die Flamme prophetischer Begeisterung in ganz Europa zu entzünden.
Seine Kindheit in den Cevennen
Élie Marion wird 1678 in Barre-des-Cévennes (im heutigen Departement Lozère) als Sohn einer angesehen protestantischen Familie geboren. Als er sieben Jahre alt ist, wird das Edikt von Nantes widerrufen, und er muß daher den vom Gemeindepfarrer gehaltenen Unterricht besuchen. Wie er in seinen Memoiren erzählt, rücken seine Eltern am Abend jedoch die tagsüber erhaltene katholische Unterweisung wieder zurecht.
Er beginnt in Nîmes ein Jurastudium, das er später in Toulouse abschließt, und spielt des öfteren mit dem Gedanken, in eines der Länder des hugenottischen Refuge auszuwandern. 1702 kommt er mit den Propheten in Berührung. Das ändert sein ganzes Leben.
Der Kamisardenprophet
Am Neujahrstag 1703 sieht sich Élie Marion vom „prophetischen Geist“ heimgesucht. Dieses mystische Erlebnis bewegt ihn dazu, sich dem Kamisardentrupp von Valette anzuschließen. 1704 wird er selbst zum Führer der Kamisarden und erledigt deren Schriftverkehr. Seine prophetischen Visionen halten sich in Grenzen.
1704 zieht sich Cavalier aus dem Aufstand zurück, aber Marion kämpft mit einer Handvoll Getreuer weiter. Doch auch seine Truppe wird schließlich aufgerieben. Als Gegenleistung für seine freiwillige Aufgabe erhält er von der militärischen Obrigkeit die Erlaubnis zum freien Abzug. 1705 geht er in die Schweiz und von dort aus 1706 mit einigen Gefährten nach London.
Der geistige Vater der 'French Prophets'
Erst in Lausanne und dann vor allem in London beginnen die Kamisardenpropheten die Endzeit zu predigen : im Geiste der Offenbarung des Johannes verkünden sie den Beginn des Tausendjährigen Reiches Christi auf Erden. In diesem Punkt herrscht zwischen ihnen und den englischen Puritanern Einverständnis. Die Kamisardenpropheten halten in London vor einer Unzahl Neugieriger öffentliche Verkündigungen ab. Élie Marion wird zum geistigen Vater der „Kinder Gottes“, die von den Engländern „French Prophets“ genannt werden.
In London lebende Franzosen schreiben die „Eingebungen“ der Propheten mit. Unter ihnen befindet sich der Schriftsteller Maximilien Misson, der diese Zeugnisse 1707 unter dem Titel Théâtre sacré des Cévennes [Das Weihespiel der Cevennen] veröffentlicht. Diese Sammlung erscheint auch sofort danach in englischer Übersetzung. Zur selben Zeit gibt Marion seine Avertissements prophétiques [Prophetische Ankündigungen] heraus. Diese Schriften finden weite Verbreitung. Zahlreiche englische Persönlichkeiten schließen sich der Bewegung an.
Die von hugenottischen Glaubensflüchtlingen in London gegründete Französische Kirche verdammt jedoch die Kamisardenpropheten und schließt sie vom Abendmahl aus. Der daraufhin ausbrechende Streit zwischen den Propheten und den Pastoren hält London 1707 und 1708 in Atem. Ein „Pressekrieg“ bricht aus : mehr als 150 Schriften werden veröffentlicht. Es kommt zu tätlichen Angriffen auf die Propheten. Die „Prophetischen Ankündigungen“ von Élie Marion werden von einem englischen Gericht als umstürzlerisch verdammt. Die europäische Presse greift diese Vorfälle begierig auf. Auch in den Nouvelles de la République des Lettres [Nachrichten aus der Gelehrtenrepublik], die Pierre Bayle regelmäßig in Rotterdam herausgibt, ist von ihnen die Rede.
Das starke Echo in den Medien führt den Propheten viele neue Anhänger zu und die immer erregteren Verkündungen überschlagen sich. Als eine Auferstehung geweissagt wird, die natürlich nicht eintritt, fällt die Gruppe auseinander. Élie Marion versucht, sie durch die Schaffung einer Organisation mit festen Verantwortlichkeiten wieder um sich zu sammeln.
Élie Marions Europareise (1711-1713)
Die „French Prophets“ unternehmen nun Missionsreisen außerhalb von London. Ihre englischen Anhänger schwärmen über ganz England, Irland und Schottland aus. Marion und einige seiner französischen Genossen verbreiten die „Geistbotschaft“ auf dem Kontinent.
1711 bereisen sie Deutschland und werden in Halle/Saale, Leipzig und Erlangen von den Pietisten (Vertreter einer evangelischen Glaubensbewegung, die Herzensfrömmigkeit und tätige Nächstenliebe als entscheidende christliche Haltung betonen) freundlich aufgenommen. Die lutherische und calvinistische Geistlichkeit steht ihnen jedoch feindlich gegenüber. Die Propheten erhalten öfters Landesverbot oder werden gerichtlich verfolgt. Eine zweite, ebenso ergebnislose Reise (1712-1713) führt Élie Marion und seine Genossen nach Stockholm. Auf dem Rückweg werden sie in Polen für 8 Monate ins Gefängnis geworfen, wo sich Marion mit dem „Fieber“ ansteckt. Wieder in Freiheit, aber immer noch krank, geht er mit seinen Getreuen über Halle und Mähren nach Konstantinopel, wo die Propheten Aufrufe an den Sultan verfassen sowie an den schwedischen König Karl XII., der seit einigen Jahren in der Türkei lebt. Von dort aus schiffen sie sich nach Italien ein. Sie wollen nach Rom. Doch Élie Marion kommt dort nicht mehr an. Er stirbt unterwegs am 28. November 1713, im Alter von nur 35 Jahren.
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Bibliographie
- Bücher
- BOST Charles, Mémoires d’Abraham Mazel et Élie Marion, Presses du Languedoc, Montpellier, 1983
- CHABROL Jean-Paul, Élie Marion, le vagabond de Dieu, Edisud, Aix-en-Provence, 1999, p. 240
- MARION Élie, Avertissements prophétiques, Londres, 1707
- VIDAL Daniel et CHABROL Jean-Paul, Avertissements prophétiques, J. Million, Grenoble, 2003, p. 280
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