Ein bewegtes Leben
1496 kommt Clément Marot in Cahors auf die Welt. Er wird von seinem Vater, selbst ein Dichter, in Dicht- und Redekunst geschult. Er tritt in den Dienst des Herrn von Villeroy, später in den von Marguerite d’Angoulême, der Schwester des Königs François I. und späteren Königin von Navarra. Er wird Nachfolger seines Vaters im Dienste von König François I und verkehrt in humanistischen und evangelischen Kreisen.
Seine Sympathie für die Reformation und sein sehr freier Geist bringen ihm manchen Ärger ein. 1529 wird er der Häresie bezichtigt und ins Gefängnis geworfen. Nach seiner Befreiung durch François I wird er zum Hofdichter bestellt.
1532 gerät er erneut in Bedrängnis. Nach den Plakatanschlägen 1534 sucht er zunächst Schutz in Nérac bei Marguerite d’Angoulême, der Königin von Navarra, später in Ferrare am Hof von Renée de France, der Tochter von Louis XII.
1536 schwört er dem Protestantismus ab und der König verzeiht ihm.1537 kehrt er nach Paris zurück, wo er seine alte Stellung als offizieller Hofdichter wiederfindet.
Eine Neuausgabe eines seiner Werke, L’Enfer, bringt ihm 1542 noch einmal den Vorwurf der Ketzerei ein. Er flüchtet nach Genf zu Calvin. 1544 stirbt er in Turin.
Die Psalmendichtung
Marot bringt die Psalmen wahrscheinlich gegen 1531 in Versform (oder paraphrasiert sie), um die „weltlichen und schmutzigen Lieder“ durch Psalmgesang zu ersetzen. Wahrscheinlich prägen ihn Marguerite de Navarre und die geistige Verwandtschaft mit dem Humanismus und der Reformation. Er bringt die Psalmen in Vers- und Reimform, damit sie sich leichter ins Gedächtnis einprägen. Er gliedert sie in Strophen, damit sie gesungen werden können.
1539 schenkt er dem König François I die Handschrift mit den ersten 30 Psalmen. Musiker vertonen sie mit bekannten Melodien und weltlichen Weisen. Er erntet beträchtlichen Erfolg am Hof und in ganz Frankreich.
Während seines Exils in Genf nimmt Marot 1543 unter der Ermutigung Calvins die Übersetzung der Psalmen wieder auf. Bis zu seinem Tode 1544 hat er 49 Psalmen in Versform gebracht. Calvin beauftragt Théodore de Bèze damit, das von Marot begonnene Werk weiterzuführen und die Psalmparaphrasen zu den 150 Psalmen der Bibel zu vollenden.
Calvin lässt von den Genfer Kantoren Melodien komponieren oder arrangieren, die sich für den Psalmgesang in der Kirche eignen. 1562 erscheint in Genf die offizielle Sammlung von 150 Psalmen unter dem Titel Les pseaumes de David. Dieser Psalter erfährt
eine sehr große Verbreitung. Er trägt zur Bildung einer reformierten Identität bei und wird zum Zeichen der Zusammengehörigkeit, ja sogar zum Kampflied während der Anfechtungen, denen die französischen Protestanten ausgesetzt sind.
Der Dichter
Das Werk Marots ist ausschliesslich Versdichtung. Es handelt sich vor allem um weltliche Dichtung, wie die Opuscules (die das Gedicht L’Enfer beinhalten), die Epîtres (an den König und an große Persönlichkeiten), die Epigrammes und die Complaintes de l‘ adolescence.
Marots religiöse Werke begrenzen sich nicht auf die Psalmen. Ebenfalls in Versform liegen vor : der Cantique de Moïse, Le Cantique de Siméon und die Oraisons mit den Commandements de Dieu (die zehn Gebote) und der Oraison de Notre Seigneur Jésus Christ (Vaterunser).
Clément Marot ist wegen seiner großen Eingebungen, seiner feinen poetischen Begabung und seines klaren und bilderreichen Stils auch ein Vorläufer der Pléiade, der bedeutenden dichterischen Bewegung der französischen Renaissance.
Clément Marot, Anfang des IX. Psalms :
« De tout mon coeur t’exalteray
Seigneur, et si raconteray
Toutes tes oeuvres nompareilles,
Qui sont dignes de grans merveilles. »