Luthers Umgang mit
der Heiligen Schrift
Vor der Reformation liest man die Bibel im Rahmen der Liturgie und der gemeinschaftlichen Religionsausübung in lateinischer Sprache. Mit der Reformation ändert sich dieser Gebrauch: die Predigt steigt zum wichtigsten Bestandteil auf und die Bibellektüre rückt somit in den Mittelpunkt der Liturgie; da sie den Gläubigen nun in ihrer Muttersprache zugänglich ist, wird sie auch persönlich und im Familienkreis gelesen. Diese Veränderung geht auf das theologische Werk und die Bibelübersetzung von Luther zurück.
Luther entdeckt im Studium der Theologie den Reichtum der biblischen Texte
Luther studiert an der Universität in Wittenberg, an der er nach der Promotion selbst lehrt. In seiner Lektüre konzentriert er sich besonders auf die Psalmen, die Briefe des Apostels Paulus an die Römer und Galater und auf den Hebräerbrief. Es ist ein aktives Lesen, ein Hinhören auf die Worte, deren Sinn sich in der Spannung von Text und Intelligenz des Lesers bald entzieht, bald offenbar wird. Es ist immer dieselbe Frage, die ihn bei der Lektüre umtreibt: die Frage nach der Wahrheit des biblischen Textes. Seiner Ansicht nach kann die Wahrheit nur in persönlicher und kritischer Lektüre erfasst und keinesfalls in Buchstaben gebannt werden.
Luther als Bibelübersetzer
Mit dem Grundsatz sola scriptura rückt Martin Luther die Bibel in den Mittelpunkt der Verpflichtungen der Gläubigen. Sie steht von nun an über dem kirchlichen und geistlichen Leben. Um die aufmerksame und offene Lektüre zu ermöglichen, hat er zusammen mit anderen Theologen die umfassende Arbeit der Übersetzung des Alten und des Neuen Testaments ins Deutsche in Angriff genommen. Seine Übersetzung setzt an den griechischen und hebräischen Texten an und hält die Spannung von Buchstabe und Geist offen; sie benutzt zum Beispiel verbale Modi, die eine fortlaufende, immer weitergehende Schöpfung nahelegen. Jeglicher Fundamentalismus wird so verhindert.
Luther ergänzt seine Übersetzungen um Kommentare, die zur aktiven Lektüre der biblischen Texte, zum Wahrnehmen ihres Reichtums und ihrer Verschiedenheit hinführen sollen.
Um die Bibel zu lesen, muss man auch lesen können. Luther ermutigte deshalb die Verwaltungsbeamten derjenigen Städte, die die Reformation durchgeführt hatten, Schulen zu eröffnen. Das Lesenlernen wurde so in protestantischen Kreisen relativ schnell geläufig.
Dazugehörige Rundgänge
-
Vor 500 Jahren… schlug Luther 95 Thesen an
Nach der Tradition, in 1517, zeigt Martin Luther 95 Thesen auf den Türen Schlosskirche zu Wittenberg. Sein Anliegen war es, eine theologische Auseinandersetzung über die Berechtigung des Ablasshandels anzuregen, der...
Dazugehörige Vermerke
-
Die Bibel in der Kultur
Dank der durch sie angeregten Öffnung zur Welt stellt die Bibel seit jeher eine schöpferische Inspirationsquelle dar. Die biblischen Schriften haben die westliche Welt mit gestaltet, ihre Kultur und Kunst... -
Erasmus (1469-1536)
Erasmus, ein großer Vertreter des Humanismus des 16. Jahrhunderts, ist ein offener und kultivierter Geist, ein Europäer vor der Zeit. Er ist der Verfasser der ersten kritischen Ausgabe des Neuen... -
Humanismus und Bibelübersetzungen in die landessprachen
Das 16. Jahrhundert stellt einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Bibel dar. Die Buchdruckerkunst erleichtert ihre Verbreitung. Der Humanismus preist die Rückkehr zu den Quellen, das heißt zu den... -
Le mouvement des sociétés bibliques
Au début du 19ème siècle, la Bible est traduite dans la plupart des langues européennes, mais son usage est toujours réservé à une minorité instruite. Les classes pauvres, ouvriers ou...