Die Protestanten weitab von der Front
Wenn zahlreiche Regionen auch keine direkten Schäden im Ersten Weltkrieg erleiden, so wird ihre Bevölkerung doch nicht verschont. Wegen der zahlreichen eingezogenen Personen sind die protestantischen Gemeinden geschwächt und geschrumpft. Die protestantischen Kirchen müssen sich anpassen, um weiter bestehen zu können und die Anstrengungen des Krieges zu meistern.
Geschwächte Gemeinden
Die Mobilmachung zieht die Männer aus den ländlichen Gegenden ab. Die protestantischen Gemeinden bestehen fast nur noch aus Kindern, Frauen und alten Leuten. Einige Dörfer verlieren den einzigen Pastor ihrer Gemeinde, der nunmehr an der Front ist: viele protestantische Gemeinden in Frankreich befinden sich in einer Notlage.
Die sinkende Beteiligung der Gemeindeglieder führt darüberhinaus zu zahlreichen Problemen im Leben der kirchlichen Einrichtungen, die nur noch begrenzt funktionieren und von denen einige gezwungenermaßen die Arbeit einstellen müssen. Während der Krieg in einigen Gemeinden nur eine bereits vorher bestehende Krise verschärft, fallen ihm andere direkt zum Opfer: in Chateau-Neuf-sur-Charente (Charente) sind „alle Presbyter außer dem Vorsitzenden eingezogen oder verhindert“, heißt es im Protokollbuch des Presbyteriums von 1917 und 1918, was es unmöglich macht, Sitzungen abzuhalten. Die sinkenden Einnahmen führen zur Schließung einer protestantischen Schule in Pont-Menou (Finistère) im Januar 1916 und erfreuen damit den katholischen Rektor der Gemeinde…
Eine überlebensnotwendige Erneuerung
Angesichts dieser Schwierigkeiten müssen die Kirchen sich anpassen, um das Fehlen so vieler Verantwortlicher auszugleichen. Dort wo es möglich ist, erlaubt eine neue Verteilung der Mittel, den Gottesdienst vor Ort aufrechtzuerhalten. Die noch in ihren Gemeinden verbliebenen Pastoren feiern auch Gottesdienst im Nachbardorf, das nicht dieses Glück hatte. Einige Gemeinden werden zusammengelegt, um ihr Verschwinden zu verhindern. Die Laien werden hinzugezogen und helfen, die religiösen Aktivitäten aufrechtzuerhalten, wie jener Schatzmeister des Presbyterrates in Angoulême, der beflissen den Gottesdiensten vorsteht. Die Zuflucht zu einer Hilfe von außen ist auch geläufig. Alfred Auzoin (77 Jahre alt) ist einer der zahlreichen Pfarrer, die aus dem Ruhestand zurückgekehrt sind, um die Lücken zu füllen.
Man lässt sogar Schweizer Pastoren die Alpen überqueren und Frankreich von Ost nach West durchziehen, um Gottesdienst in der Bretagne abzuhalten.
Wenn eine Neuorganisation unmöglich ist, zögern die Gemeinden nicht, Frauen zu berufen. Ab 1916 erlaubt man in Jarnac (Charente) den Frauen, am Presbyterrat teilzunehmen. Auch die Ehefrauen von Pastoren, die an der Front sind, werden eingeladen, den Sitzungen des Rates beizuwohnen. Man vertraut den Frauen die Finanzen der Kirche an, wenn der Schatzmeister fehlt. Aber diese Beteiligung der Frauen bleibt eine Ausnahme als Zugeständnis an den Krieg. In Sainte-Foy (Gironde) sind die Frauen nur für die Dauer einer Amtszeit berufen worden…
Die Dauer des Krieges und der Tod zahlreicher Pastoren werden zu einer Erneuerung der Führungskräfte führen.
Die Teilnahme an der Kriegsanstrengung
In den Ortschaften stellen die Protestanten häufig ihre Gebäude für die Kriegsanstrengungen zur Verfügung und ermöglichen so die Schaffung von zahlreichen Aufnahmelagern und Behelfskrankenhäusern. Beispielsweise wird in Le Vigan ein protestantisches Waisenhaus gegründet. Diese Infrastrukturen werden von den Gläubigen selbst getragen.
Die Frauen engagieren sich oft als freiwillige Krankenschwestern nach dem Vorbild von Henriette Laune, der Frau des Pastors von Breuillet (Charentes-Maritimes). Die Gläubigen bemühen sich auch gemeinsam, Flüchtlinge aufzunehmen.
Die starke protestantische Beteiligung an den Kriegsanstrengungen ist auch geistlicher Natur. Pastor Henry Dartigue mit einem Posten im Departement Drôme vermittelt in den Zeitungen ein „Wort des Glaubens und des Trostes“.
Wenn sie sich in der Presse äußern, zeigen die Protestanten ihren Patriotismus und verurteilen die Deutschen, die keine guten Christen seien. Patriotische Zeremonien sind für Katholiken und Protestanten eine Gelegenheit, ihre Unterschiede zu überbrücken; die Verleihung von Medaillen dient als Vorwand für gemeinsame Aktionen der beiden Kirchen.
Auch wenn es keine materiellen Zerstörungen gibt, so erfahren die Kirchen im Hinterland doch das durch den Konflikt verursachte menschliche Leid. Überall verlieren sie viele Gemeindeglieder, besonders Pastoren; einige Kirchen verschwinden sogar, weil sie keinen Pastor mehr haben, um den Gottesdienst abzuhalten.
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