Der Protestantismus in der Normandie

Die Aufnahme der Reformation in der Normandie im 16. Jahrhundert

  • Timbre représentant Marguerite d'Angoulême
    Briefmarke mit dem Bildnis der Marguerite von Angoulême © Collection privée

Die Normandie nimmt die Reformation sehr früh und mit großem Eifer an.

Alençon nimmt als erste Stadt Luthers Ideen an und zwar unter dem Einfluss der Schwester von Franz I., Marguerite d‘Angoulême, die in ersten Ehe mit dem Herzog von Alençon verheiratet war (durch ihre zweite Ehe mit Henri d‘Albret wird sie Königin von Navarra). Ab 1529 wird der „Kleine Katechismus“ von Luther dort von Simon Dubois gedruckt.

In Palastsaal in Rouen fand das statt, was als erste öffentliche Kundgebung der Verbreitung von Luthers Gedankengut in der Normandie betrachtet wird: die „Affäre der Schmähschriften“, Schmähschriften, die als „häretisch und gotteslästerlich gegenüber dem heiligen Sakrament“ empfunden wurden.

In Caen, der berühmten Universität (ganz durchtränkt von den humanistischen Ideen des „Kreises von Meaux“, dessen berühmteste Mitglieder Lefèvre d‘Etaples und Briçonnet sind)f, wurden Luthers Thesen 1533 angeschlagen.

Zahlreiche calvinistische Kirchen werden gebaut

  • Grundriss der Kirche von Petit-Quevilly (Rouen, Seine-Maritime) © Reymond

In der Normandie nimmt der Beitritts zur Reformation eine ebenso ländliche wie städtische Gestalt an.

In der Basse-Normandie ist die bäuerliche Welt stark durchdrungen, während in der Haute-Normandie die Reformation vor allem Sache der Städte ist.

Sehr schnell breitet sich der Protestantismus in Rouen aus. 15-20% der Bevölkerung haben sich bekehrt. Rouen bekommt seine erste evangelische Kirche 1546. Im Jahre 1557 kommt ein Pfarrer aus Genf, La Jonchée. 1561 hat die Kirche vier Pastoren und zählt 10.000 Mitglieder.

In Elbeuf ist 1559 ein Viertel der Bevölkerung reformiert.

Caen ist zwischen 1560 und 1568 zum größten Teil protestantisch.

Dieppe bekommt ebenso wie Rouen seine Kirche 1557. Diese zählt bis zu 14.000 Mitglieder.

In Condé-sur-Noireau bekehrt sich fast die gesamte Bevölkerung.

Auch in Le Havre, Lisieux, Pont-Audemer, Pont-l‘Evêque finden sich starke protestantische Bevölkerungsanteile.

Die Milieus, die den „neuen Ideen“ gegenüber am aufgeschlossensten sind, sind außerhalb der Universitäten die Vertreter der freien Künste. Unter den Künstlern sei Jean Goujon (1510-1566) erwähnt, zahlreiche Juristen (das Parlament von Rouen ist betroffen) sind dabei, Kaufleute und Adlige, die ihre Bauern mitziehen.

Unter den Bekehrten zählt man auch viele Kirchenmänner.

Die protestantischen Familien sind vor allem im Handwerk der Tuchweberei, in den mit Büchern verbundenen Berufen (Druck und Verlag) und in denen des Meeres vertreten.

Die Protestanten zeichnen sich im Seehandel aus und einige nehmen Anteil an der Eroberung der „Neuen Welt“. Zu erwähnen ist die Familie Duquesne aus Dieppe: Abraham Duquesne ist nach Kanada gefahren, Jean Ribaut, auch er aus Dieppe, kam nach Florida.

Die Religionskriege

  • Montgomery © S.H.P.F.
  • Heinrich IV. empfängt den verletzten Sully nach der Schlacht von Ivry (1590) © S.H.P.F.
  • Schloss Cerisy-la-Salle (50)

Die Normandie ist vom ersten Religionskrieg (1562) betroffen: die Protestanten sind mächtig; sie übernehmen die Macht in allen wichtigen Städten: in Dieppe, Rouen, Le Havre, Caen, Falaise, Bayeux, Vire, Contances. Der Graf von Montgomery, Anführer der normannischen Protestanten, widersteht der königlichen Armee unter der Führung des Franz von Guise.

Dieppe und Le Havre fallen in die Hände der Engländer und werden danach von den vereinten katholischen und protestantischen Truppen den Engländern wieder abgenommen.

Die Anwendung des Edikts von Saint-Germain von 1570, das die Ausübung des reformierten Glaubens den Ländereien der Gerichtsherren vorbehält, führte dazu, dass die Gläubigen unter den Schutz einiger Familien gestellt wurden wie der Montgomerys in Ducey und Pontorson, der Familie Sainte-Marie-d‘Agneaux um Saint-Lo oder der Richiers in Cerisy.

In Rouen wie in vielen anderen Provinzstädten gab es eine blutige Reaktion auf die Bartholomäusnacht (17. bis 20. September 1572) mit 400 Toten.

Daraus ergaben sich zahlreiche Abschwörungen und für viele die Wahl des Exils. Die ersten flüchten in andere Regionen Frankreichs, besonders ins Béarn, aber auch in die Niederlande, vor allem nach Rotterdam, nach England und bis nach Kanada.

Im Jahre 1574 flammt der Krieg in der Normandie erneut auf. Montgomery wird in Paris auf dem Place de Grève hingerichtet. Der „Frieden des Monsieur“ stellt 1576 die Ruhe wieder her.

Während der Kriege der Liga ist die Normandie von neuem betroffen (1589-1590). Zu erwähnen sind die Schlacht von Arques (1589), in der Heinrich IV. den Herzog von Mayenne besiegt hat, und die von Ivry (1590), während der Sully verwundet wurde.

Fast alle Städte, die sich der Liga angeschlossen haben, von Dieppe und Caen abgesehen, werden 1590 nach und nach von Heinrich IV. wieder eingenommen mit Ausnahme von Rouen, das noch Widerstand leistet.

Das Edikt von Nantes (1598) wird von dem Parlament von Rouen am 23. September 1599 unterzeichnet.

Der Abschwörung Heinrichs IV. folgten zahlreiche normannische Adlige. Dennoch bleiben am Ende des 16. Jahrhunderts etwa 100.000 Protestanten in der Normandie und das kirchliche Leben kann normal weitergehen. Nach dem Edikt von Nantes bildet die Normandie eine „synodale Provinz“ mit 58 Kirchen.

17. Jahrhundert

  • Reformierte Kirche St Éloi in Rouen © S.H.P.F.

Die Sicherheitsplätze wurden in der Normandie wie in den anderen Provinzen Frankreichs 1629 abgeschafft (Frieden von Alès). Nationalsynoden konnten 1607 in La Rochelle und 1609 in Saint-Maixent abgehalten werden. Die letzte Provinzsynode fand 1682 in Rouen statt.

Die 1652 gegründete Akademie von Caen zählt immer noch ein Drittel Protestanten. Sie bleibt bis zur Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) aktiv. Aber schon ab den 1660er Jahren werden der protestantischen Lehre Einschränkungen auferlegt. In zahlreichen Fällen wird auf geheimen Unterricht zurückgegriffen. 1669 werden diese einschränkenden Maßnahmen verschärft, die meisten Schulen, Kollegs und Akademien werden geschlossen.

Die evangelischen Kirchen werden zerstört: im Juni 1885 befiehlt das Parlament von Rouen, alle evangelischen Kirchen der Provinz abzureißen.

Die Entführung von Kindern und die erzwungenen Bekehrungen dauern bis zur Herrschaft Ludwigs XVI. an.

Marillac, der Intendant von Rouen, wird als der „große Bekehrer der Normandie“ bezeichnet. Er leitet die Dragonaden, die in der Normandie erst im Oktober 1685 stattfinden.

Das Exil der normannischen Familien macht sich besonders nach der Aufhebung des Edikts von Nantes bemerkbar. In Rouen zum Beispiel hat man 450 Familienhäupter mit Immobilienbesitz gezählt, die 1686 ausgewandert sind.

Man kann davon ausgehen, dass durch die massive Auswanderung protestantischer Familien die Region ärmer geworden ist. Einige Handwerke wie die Tuchmacherei oder der Buchdruck sind stark betroffen.

18. Jahrhundert

Das 18. Jahrhundert ist für die Normandie wie für alle französischen Regionen die Zeit der „Wüste“. Die Protestanten müssen ihre Religion heimlich ausüben. Und doch scheint es, dass vier Kirchen seit der Aufhebung des Edikts von Nantes einen Rest an Kirchendisziplin und Organisation aufrechterhalten haben: die von Condé-sur-Noireau, Fresne, Sainte-Honorine, Athis.

Meistens wird der Gottesdienst in den Familien abhalten.

Auch geheime Versammlungen werden organisiert mit dem Risiko, dass sie überrascht und Teilnehmer zu den Galeeren verdammt oder gefoltert werden (300 Gefangene, 37 Galeerensklaven, 18 Verurteilungen zu entehrender Zurschaustellung noch nach der Hinrichtung).

Wie in den Cevennen gab es Laienprediger, darunter den berühmten Claude Brousson, der zuvor in die Schweiz geflüchtet war, wo er eine theologische Ausbildung erfahren hat.

Unter der Herrschaft Ludwigs XV. werden die Zwangsmaßnahmen gelockert.

Die Beziehungen zu England und den protestantischen Ländern im Allgemeinen begünstigen den Handel.

Nach dem Toleranzedikt (1787) erhalten die protestantischen Gemeinden erneut eine Organisation, besonders in Le Havre, Bolbec, Luneray und Rouen.

In Caen übernimmt das protestantische Bürgertum die wichtigsten Handelshäuser.

Mit dem Direktorium nehmen die Protestanten am politischen Leben teil.

Gegen Ende des Jahrhunderts erscheinen wieder einige Pfarrer, aber sie sind selten an einen Ort gebunden.

In der Normandie wie überall wurde die protestantische Religion nach der Revolution wieder hergestellt.

Doch erst 1795 können die Städte regelmäßig Gottesdienst feiern und einen Pastor haben.

Nach dem Konkordat (1801) wird in Rouen die evangelische Kirche Saint-Eloi als Ersatz für die Kirche von Quevilly gebaut.

19. Jahrhundert

  • Ary Scheffer, François Guizot (1787-1874) © Collection privée

Im 19. Jahrhundert sind die Protestanten in der Normandie immer noch anwesend, in den Städten in Gruppen, auf dem Land verstreut. Sie spielen eine wichtige Rolle in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Region. Man zählt etwa 10.000 Protestanten in der Seine-Maritime, in Orne und im Calvados sind es nur noch 5.000.

In Val-Richter im Calvados ist François Guizot (1787-1874) nach einer brillanten Karriere als Historiker und Politiker unter der Julimonarchie gestorben.

Nach dem Krieg von 1870 sind viele Protestanten aus dem Elsass gekommen, darunter Jules Siegfried (1837-1922), und haben sich vor allem in Le Havre niedergelassen.

In der Normandie findet die Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert einen günstigen Nährboden. Aus England gekommene Methodisten sind auch dort sehr aktiv. Die Spannungen zwischen den liberalen und den orthodoxen Protestanten werden dadurch verschärft.

Nach und nach setzt sich die Orthodoxie wieder durch. Zu erwähnen sind die Pfarrer David Maurel (1818-1839), Guillaume de Félice (1828-1839) und in Dieppe Pastor Jean Réville (1826-1860).

20. Jahrhundert

  • Evangelische Kirche von Luneray (76) © Société de l'Histoire du Protestantisme en Normandie

Im 20. Jahrhundert ist der Protestantismus vor allem in Rouen, Le Havre und in geringerem Maße in Caen noch sehr lebendig. Die wichtigste der ländlichen Kirchen (25% der Bevölkerung) steht in Luneray, wo die evangelische Kirche im 19. Jahrhundert erbaut wurde.

Der Protestantismus in der Normandie

Bibliographie

  • Seiten
    • Les temples protestants de France | Link
  • Bücher
    • BOST Charles, Récits d’histoire protestante normande, Paris, 1925
    • DELAFONTENELLE Jacky, Les protestants du bocage normand, Éditions du Petit Chemin, 2007
    • DUBIEF Henri et POUJOL Jacques, La France protestante, Histoire et Lieux de mémoire, Max Chaleil éditeur, Montpellier, 1992, rééd. 2006, p. 450
    • GALLAND Jacques-Alfred, Essai sur l’histoire du protestantisme à Caen et en Basse-Normandie, Les Bergers et les Mages, Paris, 1991
    • GALLAND Jacques-Alfred, Essai sur l’histoire du protestantisme à Caen, Bergers et Mages, 1999
    • LAURENT René, Promenade à travers les temples de France, Les Presses du Languedoc, Millau, 1996, p. 520
    • VRAY Nicole, Protestants de l’Ouest 1517-1907
    • WADDINGTON Francis, Le protestantisme en Normandie depuis la Révocation jusqu’à la fin du XVIIIe siècle, Paris, 1862

Dazugehörige Vermerke