Edmond Dehault de Pressensé (1824-1891)
Ein aufmerksamer Beobachter des politischen Lebens
Nach dem Theologiestudium in Lausanne, wo er die Vorlesungen Alexandre Vinets besuchte, dessen leidenschaftlicher Anhänger er sein Leben lang blieb, und nach einem Aufenthalt an mehreren deutschen Universitäten wurde er 1847 zum Pastor der protestantischen Taitbout-Kapelle berufen. Er blieb dieser berühmten unabhängigen Pariser Kirche sein ganzes Leben lang verbunden.
Während der Revolution von 1848 und der beginnenden II. Republik (1848-1852) nahm er als ein « seit jeher sozialistischer Bourgeois » (E.G. Léonard, Histoire générale du protestantisme, Bd.3, S.260-261) am politischen Leben teil. In einem Brief vom 21. März 1848 beschreibt er das « Volk » im Pariser Rathaus : « wir machten Bekanntschaft mit diesen intelligenten, lebhaften, beseelten und guten Leuten, denn die Eintracht ist in aller Munde. (…) Ihre Geschichte war immer wieder die selbe : sie zeichneten ein beschämendes Bild des Elends und der Unterdrückung, das auf eine durchaus friedfertig vorgetragene Anklage hinauslief, deren Schlußwendung jedoch mehr übernommen als durchdacht war. Die kräftige Rede unserer Männer in ihren Arbeitsjacken hat mich sehr stark bewegt. » Schon bald darauf machte sich Edmond de Pressensé einen Namen durch seine schnelle Auffassungsgabe, seine Aufgeschlossenheit gegenüber den gesellschaftlichen Problemen und dem politischen Leben und nicht zuletzt durch den klaren Stil seiner Artikel in der Zeitschrift Le Semeur (Der Sämann).
Ein aktiver Essayist
Seit 1854 war er Redaktionsleiter der Revue chrétienne (Christliche Zeitschrift) und erwies sich als einer der schärfsten Gegner der extremistischen Liberalen und als einer der Führer der Evangelikalen. Aber sein Glaube hatte nicht diese dunkle und vom Schrecken der Sünde besessene Seite, die man bei gewissen Revivalisten antraf. Er war ein wacher Geist ; er las problemlos deutsch und war daher auf dem Laufenden über die theologische Entwicklung jenseits des Rheins, aber er war nicht im strengen Sinne des Wortes ein Theologe ; er schrieb sehr schnell, was manche Fehler und Ungenauigkeiten mit sich brachte. In der Revue chrétienne, der er 1861 eine theologische Beilage anfügte (aus der 1870 die eigenständige Revue théologique -Theologische Zeitschrift- hervorging), bemühte er sich um eine Bereicherung der theologischen Kultur der Evangelikalen. Er ging davon aus, man könne durchaus gebildet und intelligent und gleichzeitig Anhänger der traditionellen Dogmen sein, was der Linie der von Colani in Straßburg herausgegebenen Zeitschrift Le Lien (Das Band) widersprach. Als rastloser Geistesarbeiter verfaßte er Bücher zur Kirchengeschichte [Histoire des trois premiers siècles de l’Église chrétienne (Geschichte der ersten drei Jahrhunderte der christlichen Kirche)] und hielt viele Vorträge im In- und Ausland. Sein 1866 erschienenes Werk Jésus-Christ. Son temps, sa vie, son œuvre (Jesus Christus. Seine Zeit, sein Leben, sein Werk) ist mit Abstand die treffendste Entgegnung auf La Vie de Jésus (Das Leben Jesu, 1863) von Ernest Renan und ließ ihn viele Freunde auch unter liberalen Katholiken finden.
Während des zur Zeit des II. Empire (1852-1870) ausbrechenden Kampfes um bürgerliche Freiheiten befreundete er sich mit Adolphe Thiers. Er ging als Freiwilliger in den deutsch-französischen Krieg (1870) und wurde als Frontsanitäter der Internationalen Gesellschaft für Verletztenhilfe eingesetzt. Im Juli 1871 zog er als Abgeordneter des linken Zentrums in die Nationalversammlung ein, blieb aber dennoch Pastor der Taitbout-Kapelle. 1876 wurde er nicht wieder ins Parlement gewählt. Er legte 1877 sein Doktorexamen an der protestantischen Akademie von Montauban ab und bewarb sich daraufhin auf eine Professorenstelle an der Theologischen Fakultät von Paris ; seine Berufung scheiterte jedoch am Widerstand des Dekans Lichtenberger. Ab 1883 wurde er zum Senator auf Lebenszeit ernannt und 1890 in die Académie des sciences morales et politiques (Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften) aufgenommen. Edmond de Pressensé hat den französischen Protestantismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch seine herausragende Bildung, die Vielzahl seiner Veröffentlichungen, seine weitgespannten Wirkungskreise und seine Rolle in der protestantischen Presse entscheidend geprägt. Er ist der Vater von Francis de Pressensé, der Abgeordneter des Rhône und vor allem der erste Vorsitzende der Liga für Menschenrechte wurde.
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