Biografische Orientierungspunkte
Dietrich Bonhoeffer wurde als siebtes Kind einer großbürgerlichen preußischen Familie in Breslau geboren (heute Wroclaw in Polen). Er ist einer der großen protestantischen Theologen des 20. Jahrhunderts und sicher der bewegendste. Nach mehr als zwei Jahren Haft in Berliner Gefängnissen wurde er einige Tage vor Kriegsende von den Nazis im Konzentrationslager Flossenbürg durch den Strang hingerichtet. Er bleibt daher ebenso wegen seines exemplarischen christlichen Lebens wie auch wegen der Tiefe seines theologischen Denkens in Erinnerung. Bei Bonhoeffer sind christliche Militanz, politische Aktion und theologische Reflexion untrennbar miteinander verbunden. Man kann nicht von seinem theologischen Denken sprechen, ohne gleichzeitig auf das Bezug zu nehmen, was er innerhalb der Universität und der lutherischen Kirche erlebt hat, dann außerhalb beider und schließlich gegen sie beide.
Leben und Denken des Berliner Theologen lassen sich in drei recht unterschiedliche Phasen einteilen.
Die Universitätszeit (1927-1933)
Bonhoeffer ist ein weltoffener Theologe. Er denkt über die Realität der Kirche aus einem sehr lutherischen Blickwinkel nach, indem er in die Mitte seines Denkens die Schwäche Christi am Kreuz stellt. Sehr früh verfasste er an der Universität brillante Arbeiten über die Kirche als mystischen Leib Christi, die ihn in seinen Universitätskreisen, wo er anfing zu unterrichten, bekannt werden ließen. Parallel zu seiner Lehre engagierte er sich in der ökumenischen und internationalen protestantischen Bewegung und knüpfte gewinnbringende Kontakte zu den Kirchen im Ausland. Er studierte in den USA und machte ein Praktikum als Pastor in Barcelona. Dieser Sohn einer wohlhabenden und gebildeten Familie setzte sich auch für Kinder aus einem Berliner Armenviertel ein.
Die bekennende Periode (1933-1942)
Nach einem Aufenthalt in London als Pastor der deutschen Gemeinde kam Bonhoeffer nach Deutschland zurück. Er trat dort als engagierter Theologe auf, der dafür kämpfte, dass sich die protestantische Kirche der Nazifizierung widersetzten. Am Tag von Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 prangerte er öffentlich den götzendienerischen Charakter des Regimes an. Er iwar einer der Begründer und eine starke Triebkraft der Bekennenden Kirche, indem er sich den mehrheitlichen Strömungen entgegenstellte, die ein Bündnis mit den Nazis anstrebten oder doch ihnen gegenüber zumindest Neutralität wahren wollten. Er war einer der wenigen Theologen seiner Zeit, die sich der Ausgrenzung und danach der Verfolgung der Juden widersetzten. Von 1935 bis 1937 leitete er das Untergrundseminar von Finkenwalde in Pommern, wo die zukünftigen Pastoren der Bekennenden Kirche ausgebildet wurden. Dort verfasste er zwei grundlegende Bücher : Nachfolge, das von der Gnade handelt, die ihren Preis hat, und von der Notwendigkeit, auch im Leiden Christus nachzufolgen, und Das gemeinschaftliche Leben, das das fast klösterliche Leben im bekennenden Seminar schildert. Als er immer stärker vom Regime bedroht wurde, beschloss er 1939, in die USA überzusiedeln, wo ihm Freunde eine Gastprofessur vermittelt hatten. Aber er konnte die Ferne nicht ertragen und kehrte am Vorabend des Krieges nach Deutschland zurück. Er war weiterhin in der Bekennende Kirche äußerst aktiv, oft im Verborgenen, und begann mit Hilfe einiger seiner Familienangehörigen, die hohe Funktionen in der deutschen Verwaltung bekleideten, Kontakte zu Widerstandsgruppen aufzunehmen.
Die politische Periode (1943-1945)
Er lebte seinen Glauben auf einsame Art, fern von der Kirche und den Menschen. Bonhoeffer erkannte, dass es nicht mehr reicht, sich um die Kirche zu kümmern : man muss sich auch um die Welt kümmern und versuchen, den zerstörerischen Wahnsinn des Führers aufzuhalten. Er wurde im April 1943, einige Wochen nach seiner Verlobung, verhaftet und interniert. Im Gefängnis schrieb er einige der schönsten Seiten seines berühmtesten Werkes, Widerstand und Unterwerfung. Er sieht dort das Erscheinen einer Welt voraus, in der die „Hypothese Gott“ nicht mehr existiert, und legt die Basis für eine neue Art, Gott zu denken und von ihm zu sprechen. Einige haben ihn zu einem Apostel der Säkularisierung gemacht. Es wird jedoch vergessen, dass Bonhoeffer im Gefängnis ein intensives geistiges Leben hatte, das sich vom Gebet und einer regelmäßigen Bibellektüre nährte. Er hat nie aufgehört, an die Zukunft einer Welt des Friedens zu glauben, die mit sich selbst und mit Gott versöhnt ist.
Der Einfluss Bonhoeffers auf die zeitgenössische Theologie
Dieser Einfluss ist gewaltig. Bonhoeffer ist bekannt, wird studiert und auf fünf Kontinenten übersetzt. Auch die katholische Kirche hat diese große gläubige Persönlichkeit, in der sie einen mutigen Glaubenszeugen sieht, der mit den modernen und totalitären Ideologien ringt, anerkannt. In Frankreich wurde Bonhoeffer gegen Ende der 1960er Jahre entdeckt, insbesondere dank der Arbeiten von André Dumas. Man neigte zu jener Zeit dazu, in ihm manchmal mehr die politische als die religiöse Figur zu sehen. Die Person und das Denken Bonhoeffers waren zeitweilig etwas in Vergessenheit geraten, sind jedoch wieder interessant geworden, und zwar im Rahmen der Wiederentdeckung eines bekennenden Glaubens, der mit der Welt im Dialog steht.