Die Zeit zwischen
den beiden Weltkriegen
Frankreich ist aus dem Konflikt siegreich aber schwer angeschlagen hervorgegangen. Seine illusionären Machtvorstellungen treffen auf Probleme bei den Reparationen. Der Protestantismus spaltet sich in eine traditionelle Linke und eine neue Rechte. Dagegen stärkt die Gründung der Église Réformée de France (Reformierte Kirche Frankreichs) eine Einheit, die durch den Aufstieg des Nationalsozialismus und die Judenverfolgungen weiter gefestigt wird.
Eine komplexe Zeit
Die verschiedenen Ereignisse der Zwischenkriegszeit sind von besonderer Komplexität. Es ist zu bedenken, dass Frankreich, das das Hauptschlachtfeld gewesen war, aus dem Konflikt zwar siegreich, aber geschwächt hervorging : seine Jugend war dahingerafft, und ein Teil des Landes lag in Trümmern. Obgleich der Versailler Vertrag (28. Juni 1919) nicht alle seine Forderungen erfüllte, hat es doch Elsass-Lothringen zurück erhalten, das linksrheinische Gebiet ist entmilitarisiert, das Rheinland sollte 15 Jahre lang besetzt bleiben. Frankreich erhält schließlich 52 % der auf 132 Milliarden Goldmark festgesetzten, über dreißig Jahre zu zahlenden „Reparationen“.
Die Illusion der Macht – „Frankreich, das zu schwach ist, um gehört und zu ruhmvoll, um geduldet zu werden“ („la France trop faible pour qu’on l’écoutât, trop glorieuse pour qu’on la tolérât“) – veranlasst 1923 Ministerpräsident Poincaré das Ruhrgebiet zu besetzen, um dort die Kohlen zu holen, deren Lieferung die Deutschen verweigern. Er muss jedoch nachgeben, insbesondere wegen der Spekulation gegen den Franc, hinter der das angelsächsische Bemühen steht, durch das Wiedererstarken der deutschen Wirtschaft das kontinentale Gleichgewicht wieder herzustellen. Die von der Linken geforderte deutsch-französische Aussöhnung wird durch Aristide Briand verkörpert, der im Oktober 1925 zusammen mit Gustav Stresemann die Locarnoverträge (gegenseitige Garantie der deutsch-französischen Grenze) unterzeichnet. Der Dawes-Plan und der im Juni 1929 unterzeichnete Young-Plan mildern die Härten der „Reparationen“, indem sie deren Zahlung über einen sehr langen Zeitraum strecken.
Der Aufstieg des Faschismus ist einer der wichtigsten Aspekte dieser Epoche.
Eine neue protestantische Rechte
Es kommt eine neue protestantische Rechte auf, die es vor 1914 infolge der aggressiven Haltung, die die katholische nationalistische Rechte dem Protestantismus gegenüber einnahm, praktisch nicht gab. Diese Strömung, deren Einfluss begrenzt ist, vertritt einen kompromisslosen Nationalismus (die Pfarrer Édouard Soulier, Louis Lafon) und ist den Schwächen des parlamentarischen Regimes gegenüber sehr kritisch eingestellt. Es entsteht sogar eine extreme Rechte, die zwar nur eine winzige Minderheit darstellt, und diese bildet 1930 sogar eine royalistische, antisemitische Gruppe (die Groupe Sully des Pfarrers Noël Nougat, Vesper genannt), die den Ideen der Action française sehr nahe steht.
Der atheistische Kommunismus wird von einer ganzen Strömung angeprangert, deren Leiter der Pfarrer Freddy Dürrleman ist. Dieser gründet 1920 die Bewegung „La Cause“, mit dem Ziel einer evangelischen Rückeroberung. Er betreut auch die protestantischen Sendungen auf Radio Paris.
Die linke Mehrheit der Protestanten
Die Mehrheit der Protestanten ist jedoch im linken Spektrum angesiedelt, und von den sozialen Christen wird die Präsenz der protestantischen Arbeitgeber unter den „zweihundert Familien“ angeprangert. Der Süden bleibt den Prinzipien von 1789 treu und stimmt für die Radikale Partei. Die Regierung des front populaire (Volksfront) zählt mehrere Minister protestantischer Herkunft (Paul Bastid, Marc Rucart, Jean Zay), wobei auch ein kräftigeres Rot nicht selten ist, wie z. B. bei dem sozialistischen Abgeordneten und künftigen Minister André Philip, der seine religiösen Überzeugungen offen zeigt, während André Chamson sich als aktiver Verteidiger des front populaire erweisen wird. Für das tiefe Rot der Kommunistischen Partei stehen Paul-Vaillant Couturier und der Schriftsteller Henri Barbusse. Die Veröffentlichung Terre nouvelle (Neuland) von Pfarrer Tricot ist ein Versuch, Christentum und Kommunismus miteinander zu verbinden, dieser wird jedoch sowohl von der Kirche als auch von der Partei selbst verworfen.
André Siegfried unterstreicht folgendes Paradox : „der protestantische Arbeitgeber wählt links, der katholische Arbeiter rechts ; es müsste umgekehrt sein …wenn der wirtschaftliche oder der soziale Faktor entscheidend wäre.“ („le patron protestant vote à gauche, l’ouvrier catholique à droite ; c’est le contraire qui devrait être…si l’économique ou le social venait à primer.“)
Eine enttäuschte Generation
All diese Spaltungen erfolgen vor dem Hintergrund der Desillusionierung einer Generation, die nach dem „heldenhaften Schlachten“ („l’héroïque boucherie“) nicht mehr an eine fortschreitende Verbesserung des Menschengeschlechts glaubt. Wie Paul Valéry es ausdrückte : „Wir Zivilisationen wissen nun, dass wir sterblich sind“ („Nous autres, civilisations, nous savons maintenant que nous sommes mortelles“). Die Ausbreitung des Kommunismus, die Dada-Bewegung, der Surrealismus sind der Nährboden, in dem die neuen Ideen dieser Generation keimen, einer Generation, die die altehrwürdigen Vertreter des republikanischen Modells wie Clémenceau, Briand und Poincaré ablehnt.
Die Zeit der Versöhnung
In der 1905 gegründeten Fédération Protestante de France sind Reformierte, Lutheraner sowie die einige Jahre später dazu gekommenen Methodisten und Baptisten zusammengeschlossen. Die Gegensätze zwischen Liberalen und orthodoxen Reformierten, die im 19. Jahrhundert so heftig waren, haben sich beruhigt, und 1938 wird die neue Église Réformée de France – E.R.F. (Reformierte Kirche Frankreichs) gegründet, mit einem von der Nationalen Synode gewählten Nationalrat. Sie erhält durch Pfarrer Marc Boegner eine wachsende Autorität, die durch ihre Rolle in der ökumenischen Bewegung noch verstärkt wird.
Dagegen verliert das soziale Christentum an Dynamik gegenüber der Transzendenz Karl Barths und bei einigen auch gegenüber dem Marxismus. Es entwickelt sich hin zu dem rechtlichen Formalismus des Völkerbunds, zum Pazifismus und zur Krise der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen.
Der Anstieg der Gefahren
Die Versuche in Richtung auf eine deutsch-französische Annäherung hatten es möglich gemacht, einige Verbindungen zwischen den Kirchen der beiden Länder herzustellen. Aber nach der großen Wirtschaftskrise 1929 zeichnet sich die Gefahr des Faschismus (dieser den Ereignissen in Italien entlehnte Ausdruck wurde auf den Nationalsozialismus in Deutschland und manchmal auf alle Diktaturen der Zwischenkriegszeit ausgedehnt) immer deutlicher ab. Die Machtübernahme durch Hitler (30. Januar 1933) wurde von den französischen Protestanten energisch verurteilt. Zahlreiche Artikel in Foi et Vie und der Zeitschrift Revue du christianisme social protestieren gegen die Zerschlagung der Demokratie und vor allem gegen die Verfolgung der Juden, die „Opfer eines abscheulichen Fanatismus“ („victimes d’un fanatisme odieux ») sind (Marc Boegner,1933). Zahlreiche Protestanten beteiligen sich an den antifaschistischen Bewegungen. André Gide ist zu dieser Zeit eine der Leitfiguren des Antifaschismus.
Die Bedrohung durch den Faschismus
Die Theologin und Vorkämpferin der Ökumene Suzanne de Dietrich (1891-1981) ist 1939 an der Gründung der CIMADE (Comité inter-mouvements auprès des évacués) beteiligt.
Während der Sudetenkrise und der Münchener Konferenz (1938) waren die Positionen weniger klar. Die Fédération Protestante de France protestiert zwar energisch gegen das Pogrom der „Kristallnacht“ (9. November 1938), aber viele schwankten zwischen ihrem Antifaschismus und ihrem Pazifismus, wie die Bewegung des sozialen Christentums. Suzanne de Dietrich, die Sekretärin des Christlichen Studentenweltbundes wendet sich am dezidiertesten gegen „das Versagen der Christen, die Leichtfertigkeit, mit der sie Frieden, Frieden riefen, da wo es keinen Frieden gibt“ („la carence des chrétiens, l’aisance avec laquelle ils ont crié Paix, Paix, là où il n’y a point de paix“) .
Man erinnert daran, dass die Machtübernahme durch Hitler, der den christlichen Kirchen eine bestimmte Organisation aufzwingt (die „Deutschen Christen“), von der Mehrheit der deutschen Protestanten mit Wohlwollen aufgenommen wurde, da sie darin das Ende der Erniedrigungen durch den Versailler Vertrag sahen. Aber die Machtergreifung der Anhänger Hitlers in der evangelischen Kirche führte zur Gründung der Bekennenden Kirche, die 1934 unter dem Einfluss Karl Barths (der 1935 aus Bonn vertrieben wurde) und des lutherischen Pfarrers H. Asmussen ein Dokument des geistigen Widerstands gegen den Nationalsozialismus, die Barmer Erklärung, veröffentlichte. Lutherische Theologen, wie Martin Niemöller (ab 1937 in Konzentrationslagern interniert) und Dietrich Bonhoeffer (der 1945 von den Nationalsozialisten gehängt wurde), engagierten sich im aktiven Widerstand.
Bibliographie
- Bücher
- BAUBÉROT Jean, Le retour des huguenots ; la vitalité protestante, XIXème-XXème siècle, Éditions du Cerf - Labor et Fides, Paris-Genève, 1985
- ENCREVÉ André, Les protestants en France de 1800 à nos jours. Histoire d’une réintégration, Stock, Paris, 1985
- FABRE Rémi, Les protestants en France depuis 1789, La Découverte, Paris, 1999
- WOLFF Philippe (dir.), Les protestants en France, 1800-2000, Privat, Toulouse, 2001
- Artikels
- HARISMENDY Patrick, „Les intellectuels français dans les années 20“, sous la direction de COLIN Pierre, Intellectuels chrétiens et esprit des années 1920, Éditions du Cerf, Paris, 1997, p. 51-82
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