Die Zeit der Spaltungen
In der Zweiten Republik wird die Wiederherstellung des Synodalsystems ins Auge gefasst, aber nicht zum Abschluss gebracht. Napoleon III. stellt 1852 die lokalen Kirchen wieder her, aber das anhaltende Fehlen jeglicher zentralen Autorität begünstigt die Spaltungen, die durch die Lehrstreitigkeiten zwischen Liberalen und „Evangelischen“ ausgelöst werden.
Endlose Debatten nach 1848
Die Februarrevolution von 1848 führt einige Monate lang die Versammlungsfreiheit ein. Im September kommt eine Generalversammlung zusammen, die Delegierten werden mit dem allgemeinen Wahlrecht der Männer gewählt, ohne Berücksichtigung der Mitglieder der Konsistorien. Es wird das Projekt einer Neuorganisation des rechtlichen Status der Kirche vorbereitet, das vorschlägt, die Wahl der Presbyter auf Grund ihres Vermögens abzuschaffen, die lokale Kirche anzuerkennen und das presbyterianisch-synodale System wiederherzustellen ; dieses Projekt wird nicht zum Abschluss gebracht werden.
Das Zweite Kaiserreich : Nach dem Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 unterzeichnet Napoleon III. am 26. März 1852 ein Gesetzesdekret, bei dessen Abfassung Charles Read mitgewirkt hat und das den rechtlichen Status der protestantischen Kirchen neu ordnet : Wahl der Presbyter auf Grund des allgemeinen Wahlrecht der Männer und Anerkennung der lokalen Kirchen und ihres Ältestenrats. Hingegen wird das Synodalsystem nicht wiederhergestellt ; gewiss, es wird eine zentrale Struktur geschaffen, der zentrale Rat der reformierten Kirchen, aber seine Mitglieder werden vom Staat ernannt. Ohne Legitimität in der Kirche ist seine Rolle eingeschränkt. Die reformierte Kirche bleibt ohne Kopf, ohne zentrale Autorität, die fähig ist, Konflikte in der Lehre zu schlichten.
Ab 1860 verhärtet sich die Debatte zwischen Liberalen und „Evangelischen„. Die Radikalisierung des Liberalen beunruhigt die ‚Orthodoxen‘ ; der Weg, den E. Scherrer zurücklegt, ist dafür beispielhaft : Der radikale Liberalismus führte direkt in einen zerstörerischen Atheismus, indem er Kritik an den Schriften und den Dogmen ausübte.
Der Konflikt in der Lehre greift auf die Organisation der Kirche über. Die Pastoralkonferenzen von Nîmes (liberal) und Paris (evangelisch) nehmen nach und nach gegensätzliche Positionen an, und die Ernennung der Pfarrer wird oft zum Streitobjekt (vgl. den Fall Coquerel). Es kommt zu‚Schismen‘, wenn irgendein Pfarrer, der von den Ideen der Erweckung berührt wurde, es ablehnt, das Heilige Abendmahl ohne Unterschied auszuteilen (vgl. A. Monod). Die „Evangelischen“ verlangen, dass es den radikalen Liberalen verboten wird, auf den Kanzeln der reformierten Kirche zu predigen und setzen sich für die Versammlung einer Generalsynode ein, die eine Glaubenserklärung abfassen würde, der alle Pfarrer anhängen müssten. Die gemäßigten Liberalen teilen die dogmatischen Positionen der Evangelischen, aber sie können ihnen in einem Punkt nicht folgen : ein reformierter Protestant definiert sich nicht durch die Lehren, zu denen er sich bekennt, sondern durch die Methode der biblischen Textanalyse, das heißt, das freie Schriftstudium ; da die radikalen Liberalen das freie Studium anerkennen, hat niemand das Recht, ihnen das Predigen in der Kirche zu verbieten.
Die Notwendigkeit einer Schiedsstelle
In der reformierten Kirchenlehre müsste nämlich eine Synode entscheiden. Das Fehlen einer Synode verhindert es, einen Streit zu schlichten, der immer größer wird, trotz des Eingreifens von prominenten Laien wie Gustave Fornier de Clausonne. Wiederholt begeben sich prominente Protestanten, im besonderen Francois Guizot, in die Tuilerien, um den Schiedsspruch des Kaisers zu erbitten, was der Kaiserin erlaubt, ihren Mann zu Recht darauf hinzuweisen : „Sie können nicht der Papst einer Religion sein, der Sie nicht angehören“.
Nach langen Verzögerungen kommt die von Thiers im November 1871 beschlossene erste offizielle Generalsynode im Juni-Juli 1772 in Paris zusammen. Die Evangelischen sind in der Mehrheit, sie setzen ihre Pläne um :
- Annahme einer Glaubenserklärung, die den neuen Pfarrern auferlegt werden wird, auf die Gefahr hin, dass die radikalen Liberalen ausgeschlossen werden
- religiöse Bedingungen der protestantischen Wählerschaft
- völlige Wiederherstellung des presbyterianisch-synodalen Systems.
Weiterhin unnachgiebige Haltungen
Aber obwohl die gemäßigten Liberalen bezüglich der Lehre gleicher Meinung sind (jedoch nicht über die Kirchenlehre), solidarisieren sich mit den radikalen Liberalen und lehnen es ab, die Entscheidungen der Synode umzusetzen. Nur ein Appell an die Regierung würde es erlauben, aus der Sackgasse herauszukommen, der allerdings durch ein juristisches Verfahren mit Appell an den Staatsrat verkompliziert würde. Aber die Regierung will sich nicht in die inneren Angelegenheiten der reformierten Kirche einmischen und lässt die Protestanten das Schisma ihrer Kirche selbst regeln.
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bestehen faktisch zwei verschiedene Kirchen im reformierten Protestantismus Frankreichs nebeneinander ; die meisten radikalen Liberalen verlassen die Kirche von sich aus :
- Die „Evangelischen“, die es ablehnen länger zu warten, organisieren im November 1879 ihre erste offiziöse Synode, die allen offen steht ; es sind etwa 2/3 der Reformierten, die die Entscheidungen der Synode von 1872 akzeptieren.
- Die Liberalen folgen ihrem Beispiel und organisieren 1882 ihre Generalversammlungen.
- Sie werden sich immer weiter entwickeln und im 20. Jahrhundert das Prinzip der Glaubenserklärung, das heißt, das Prinzip eines für die Pfarrer verpflichtenden Glaubensbekenntnisses annehmen.
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