Die Zusammenkunft einer kleinen Gruppe von Protestanten
Am 16. und 17. September 1941 traf sich in Pomeyrol (einem der ERF gehörenden Haus für Exerzitien und Treffen in Saint-Etienne-du-Grès,im Departement Bouches-du-Rhône) auf Initiative von Pfarrer Visser’t Hooft und Madeleine Barot, der Generalsekretärin der Cimade, eine kleine Gruppe von etwa fünfzehn Personen, ohne dazu einen offiziellen Auftrag erhalten zu haben, „um zusammen danach zu suchen, was die Kirche der Welt heute sagen muss“. Es waren Pfarrer : Jean Cadier, Georges Casalis, Generalsekretär der Fédération française des associations chrétiennes d’étudiants (französischer christlicher Studentenbund), Henri Clavier, Paul Conord, Henri Eberhard, Jean Gastambide, Pierre Courthial, Jacques Deransart, Pierre Gagnier, Roland de Pury, André de Robert, André Vermeil ; drei Laien waren dabei : Madeleine Barot, Suzanne de Dietrich, die aus Genf kam, und René Courtin, Professor an der juristischen Fakultät Montpellier.
Dieses Treffen knüpfte an die „Theologischen Erklärung von Barmen“ in Deutschland (29.-31. Mai 1934) an. Nach der Machtergreifung durch Hitler wurden die in der Evangelischen Kirche zusammengeschlossenen protestantisch-lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen gezwungen, den „Arierparagraphen“ und die Behauptung der Überlegenheit des Deutschtums in ihre Kirchenverfassung zu übernehmen.
Am 29. Mai 1934 distanziert sich die Barmer Synode hiervon und Lutheraner und Reformierte schließen sich unter der Bezeichnung Bekennende Kirche zusammen. Diese Männer des Widerstands, die aus allen Teilen Deutschlands kommen, protestierten damit gegen die Gleichschaltung des deutschen Protestantismus, wie sie von den Deutschen Christen organisatorisch betrieben wurde. Die Erklärung, zu deren wichtigsten Verfassern Karl Barth gehört, präsentierte sich ihrem Wortlaut nach als ausschließlich religiöser Akt des geistigen Widerstands zur Verteidigung der Kirche und der Reinheit ihrer Botschaft ; insbesondere erwähnte sie nicht die Verfolgung der Juden. Trotz ihrer Lückenhaftigkeit (die nach dem Krieg zu Kontroversen führte) war ihre politische Bedeutung unverkennbar.
Ein Akt des Widerstands gegen den Nationalsozialismus
In Frankreich wurde diese Erklärung durch die von Pfarrer Pierre Maury geleitete Zeitschrift Foi et Vie sowie von Christianisme social verbreitet. Die Barmer Erklärung sowie Texte des deutschen Pfarrers Martin Niemöller wurden 1940 in der in Lyon gegründeten Zeitschrift Témoignage chrétien veröffentlicht. Nachdem in der „zone libre“ (nicht besetzter Teil Frankreichs) die ersten antisemitischen Gesetze ergangen sind, führt die Notwendigkeit, ein ideologisches Werkzeug für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu schaffen, zu dem Treffen in Pomeyrol.
Die Thesen von Pomeyrol – acht an der Zahl – stellen „eine theologische Reflexion über die evangelischen Grundlagen einer öffentlichen Wortmeldung der Kirche“ dar. Die ersten 4 befassen sich mit den Beziehungen zwischen Kirche und Staat, die 5. mit den Grenzen des Gehorsams gegenüber dem Staat, die 6. fordert die Achtung der wesentlichen Freiheiten, die 7. wendet sich gegen den Antisemitismus, die 8. verurteilt die Kollaboration. Die 7. These ist völlig unzweideutig : “ …sie erhebt feierlichen Protest gegen jede Gesetzgebung, die Juden aus den menschlichen Gemeinschaften ausschließt“. In der 8. These „wendet sich die Kirche gegen Doppeldeutigkeiten und erklärt, dass die unvermeidliche Unterwerfung unter den Sieger nicht als ein Akt der freien Zustimmung hingestellt werden kann…, sie betrachtet den Widerstand gegen jeden totalitären und idolatrischen Einfluss als eine geistige Notwendigkeit“.
Mithin werden diese Thesen von einem Thema beherrscht : dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat und der Legitimität eines öffentlichen Worts der Kirche in der damaligen Situation.
Auch wenn sie verhältnismäßig vorsichtig gehalten war und trotz einiger äußerst feindlichen Reaktionen haben die Thesen von Pomeyrol, die von zahlreichen Pfarrern und von der Fédération herkommenden Studenten verbreitet wurden, dazu „beigetragen, innerhalb des französischen Protestantismus eine bekennende Einstellung zu strukturieren (das heißt das Zeugnis der Kirche, die bereit ist, den Preis der Gnade zu zahlen)“ (G. Casalis).