Die Protestanten
und das Regime von Vichy
Bei der Niederlage im Juni 1940 entsprach die Haltung der Protestanten der der Mehrheit der Franzosen : man vertraute Marschall Pétain. Der Bruch mit dem Vichy-Regime erfolgte jedoch bereits frühzeitig, ausgelöst durch die Verfolgung der Juden.
Fand sich Frankreich mit der Niederlage ab ?
Während des Sitzkriegs („drôle de guerre“) 1939-1940 bekennt sich die nationale Synode der Reformierten Kirche Frankreichs (ERF) zu der „Notwendigkeit, Frankreich in diesem ihm aufgezwungenen Krieg zu stützen“ („la nécessité de soutenir la France dans cette guerre qui lui a été imposée“). Nach dem Zusammenbruch der französischen Armee erscheint den meisten der 800 000 französischen Protestanten das Vichy-Regime als legitim, wobei auch sie durch die Demarkationslinie geteilt sind, die die besetzte Zone (Norden und Atlantikküste, darunter die 200 000 – 300 000 Lutheraner aus dem Osten) von der nicht besetzten Zone im Süden Frankreichs (500 000 à 600 000 Reformierte) trennt.
In dieser tragischen Situation, als der Waffenstillstand von Marschall Pétain als unabwendbar angekündigt wird (17. Juni 1940), als die Regierung die Übertragung der unumschränkten Gewalt verlangt und das Parlament sine die vertagt wird, „bestand die Schwierigkeit nicht darin, seine Pflicht zu tun, sondern darin, diese zunächst einmal zu erkennen“ („la difficulté était non pas de faire son devoir, mais d’abord de le discerner) (François de Labouchère). Die meisten Franzosen vertrauen dem Marschall, der bei der Linken Respekt genießt, weil er im Ersten Weltkrieg das Blut der Truppen schonte, und bei der Rechten begeisterte Zustimmung findet, weil er seinen „Ekel“ vor den politischen Parteien zum Ausdruck gebracht hat. Ein Teil der Protestanten akzeptiert die neue Ordnung und nimmt das Bemühen um eine nationale und moralische Erneuerung mit Interesse auf : gewissen Themen der Ideologie der Révolution Nationale (Nationale Revolution), die in der Devise „Travail, Famille, Patrie“ („Arbeit, Familie, Vaterland“) zusammengefasst sind, werden von einigen Pfarrern positiv gewertet, von den meisten jedoch abgelehnt, insofern als sie eine Absage an die republikanische Devise „Liberté, Egalité, Fraternité“ („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“) bedeuten, der sich die Protestanten verpflichtet fühlen.
Freie Zone, besetzte Zone : zwei gegensätzliche Situationen
In der bis November 1942 nicht besetzten Südzone haben es die religiösen Autoritäten nur mit Vichy zu tun. Im Januar 1941 erklärt sich Pfarrer Marc Boegner, der Vorsitzende der Fédération protestante de France, bereit, zusammen mit drei weiteren Protestanten Mitglied des Conseil national de l’État français (Nationalrat des französischen Staates) zu werden, um durch eine Politik der Präsenz den Schutz der protestantische Religionsgemeinschaft zu ermöglichen.
In der besetzten Nordzone hängen die geistlichen Verantwortlichen von den Besatzern ab, und diese misstrauen den als ideologische Gegner geltenden Kirchen. Die deutschen Behörden halten die Anglophilie von Pfarrer Boegner und das „geistige Band zwischen dem französischen Protestantismus und der angelsächsischen Welt“ („lien spirituel entre le protestantisme français et le monde anglo-saxon“) für bedenklich. Bereits am 10. Juli 1940 hatte Pfarrer André-Numa Bertrand, der protestantische Verantwortliche in der besetzten Zone, ausgerufen : „das Übel ist nicht, besiegt zu sein, sondern seine Seele zu verlieren ; und es scheint eben, dass – das offizielle – Frankreich die seine verloren hat“ („le mal n’est pas d’être vaincu, le mal est de perdre son âme ; et il semble bien que la France – officielle- ait perdu la sienne„). Die Freiheit der Religionsausübung wird jedoch gewahrt, denn sie steht der Besatzungspolitik nicht entgegen.
Dagegen werden in den de facto annektierten Gebieten des Elsass und Lothringens im Rahmen der Nazifizierungspolitik die christliche Presse untersagt, die konfessionellen Schulen geschlossen, die Studenten der theologischen Fakultät Straßburg nach Tübingen verwiesen.
Bis zum Ende des Kriegs sind nur sehr wenige Protestanten „aktive Petainisten“, wie der Englandfeind und Antisemit Konteradmiral Platon oder Noel Nougat, genannt Vesper, der vor dem Krieg die rechtsextreme Gruppe Sully geleitet hat, dann offen als Kollaborateur auftritt und zusammen mit seiner Frau am 22. August 1944 von Maquiskämpfern erschossen wird.
Die Verweigerung der Protestanten
Dagegen haben viele Protestanten die Prinzipien der Nationalen Revolution sehr rasch verworfen, als die wahre Natur des Regimes nach und nach zu Tage trat und auf die nationalsozialistische Ideologie einschwenkte. Dafür lassen sich folgende Faktoren anführen :
- die Zugehörigkeit zu einer Minderheit, die in der Vergangenheit verfolgt wurde,
- die Struktur des Protestantismus, der aus mehr oder weniger autonomen Gemeinschaften besteht, wodurch er eher zum Widerspruch neigte, als es bei der katholischen Kirche der Fall war,
- die von manchen gehegte Befürchtung, das Vichy-Regime könne zu einem katholischen Integrismus zurückkehren,
- die immer offener bekundete Republikfeindlichkeit des Vichy-Regimes,
- eine größere Öffnung zur Außenwelt hin (man liest die Genfer Zeitung „Journal de Genève“, hört den Genfer Radiosender Sottens),
- die Rolle der Frauen, die im geistigen Widerstand und in der humanitären Tätigkeit der Cimade so bedeutend war.
Zudem hatte die von Charles Westphal und Pierre Maury geleitete Zeitschrift „Foi et vie“ bereits im Januar 1941 trotz der Zensur Karl Barths Brief an die französischen Protestanten („Lettre aux protestants de France„) von Oktober 1940 veröffentlicht, der zum Widerstand gegen den Hitlerismus aufrief. Karl Barth war ein unermüdlicher Gegner des Naziregimes und Inspirator der Bekennenden Kirche, die sich gegen die von Hitler aufgezwungenen Deutschen Christen stellte. Dieser Brief wurde von den Pfarrern Roland de Pury und Georges Casalis verbreitet.
Im September 1940 fordert Marc Boegner die Protestanten auf, nicht in die „Légion française de combattants“ („Französische Frontkämpferlegion“) einzutreten, denn der auf den Marschall zu leistende Treueid schien ihm den Weg zu Verpflichtungen voller Ambiguitäten zu öffnen.
Der Bruch
Zum offenen Bruch mit dem Vichy-Regime kam es im März 1941 mit den Maßnahmen gegen die Juden. Im Sommer protestiert Pfarrer Boegner mit einem Schreiben an Marschall Pétain vom 20. August 1942 offiziell gegen die Judendeportationen. Am 22. September 1942 richtet der Nationale Rat der ERF ein Schreiben an die Pfarrer, das am 4. Oktober von der Kanzel zu verlesen ist und in dem unter anderem steht : „Die ERF kann nicht schweigen angesichts des Leidens Tausender Menschen, die auf unserem Boden Asyl fanden (…). Das Evangelium befielt uns, alle Menschen ausnahmslos als Brüder zu betrachten (…). Die Kirche fühlt sich gezwungen, den Aufschrei des christlichen Gewissens hören zu lassen“. („l’ERF ne peut garder le silence devant les souffrances de milliers d’êtres qui reçurent asile sur notre sol (…). L’Évangile nous ordonne de considérer tous les hommes sans exception comme des frères ( …). L’Église se sent contrainte de faire entendre le cri de la conscience chrétienne »).
Der im März 1943 eingerichtete Zwangsarbeitsdienst, der Service du travail obligatoire (STO) für die Jahrgänge 1920 bis 1922 stärkt die Résistance (Widerstandsbewegung) und lässt die Maquis (Partisanengruppen) anwachsen.
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