Der Protestantismus
nach 1562

Trotz aller Verfolgungen und Bürgerkriegsunruhen geben sich die reformierten Kirchen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (1562-1598) eine eigene Organisationsform. Die politische Struktur der Protestantische Union Südfrankreichs (Provinces-Unies du Midi) entspricht der föderalistischen Organisation der reformierten Kirchen.

Verbreitung der Ideen Calvins

Calvins Schriften sind in Frankreich gut bekannt, besonders seine Unterweisung in der christlichen Religion, deren Ausgabe « letzter Hand » 1560 erscheint. Es handelt sich um ein gewaltiges Werk, das ein doppeltes Ziel verfolgt : ein Lehrgebäude zu errichten und es danach von berufenen Leuten in die Praxis umsetzen zu lassen. Auf diese Weise erhalten die mehr oder minder im Geheimen tätigen reformierten Gemeinden eine religiöse Legalität sowie einen theologischen und ekklesiologischen Überbau.

Die Entwicklung der reformierten Kirchen

Das konfessionelle Bild Frankreichs zur Zeit des Edikts von Nantes © D.R.

Ab 1555 organisieren sich zahlreiche protestantische Untergrundkirchen in Frankreich nach dem « Genfer Modell ».

Seit ihrer Gründung im Jahre 1559 bildet die Genfer Akademie Pastoren aus, die danach nach Frankreich gehen, um dort im Geiste Calvins Kirchen « aufzurichten ». Innerhalb von nur fünf Jahren entstehen so an die tausend Kirchen, hauptsächlich im südfranzösischen Kulturkreis (« Okzitanien »), aber auch im Süden des Poitou, in den Landstrichen längs der Loire und in der Normandie. Zwischen 1559 und 1565 erlebt die Bewegung einen bemerkenswerten Aufschwung : rund 2 Millionen Franzosen – etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung – bekennen sich zum reformierten Glauben. In manchen Städten – wie etwa in Montauban – gibt es überhaupt keine Katholiken mehr. Diese Bewegung religiöser Massenbekehrungen flaut jedoch schon ab 1565 wieder ab und kommt während der Bartholomäuspogrome (1572) fast gänzlich zum Erliegen.

Am Ende des 16. Jahrhunderts ist die Zahl der französischen Protestanten merklich zurückgegangen. Sie zählen nur noch 1 Million, aber diese Million bleibt aktiv, besonders in den Städten.

Eine dreistufige Kirchenorganisation

Nationalsynode der Reformierten Kirchen Frankreichs -1598 © S.H.P.F.

Innerhalb jeder Ortskirche wählen die reformierten Gläubigen einen Kirchenrat – Konsistorium genannt -, dessen Mitglieder (« Älteste ») keine Geistlichen sind. Das Konsistorium erwählt sodann einen Pastor. Es kümmert sich um « alles, was mit der Ordnung, dem Unterhalt und der Verwaltung der Kirche zusammenhängt ».

Auf provinzialer und nationaler Ebene versammeln sich die Vertreter (Pastoren und Älteste) der Kirchen zu Synoden. Diese stellen den Zusammenhalt der Ortsgemeinden sicher, von denen jede einzelne ihre eigenen Angelegenheiten selbständig regelt und von denen keine einzige einen Vorrang gegenüber einer anderen für sich beanspruchen kann.

Ein Sonderfall politischer Organisation

Im reformierten Denken kommt der weltlichen Regierung keine absolute Macht über das Staatsvolk zu. Für gewisse politische Denker unter den Protestanten – vor allem für die Monarchomachen (« Kämpfer gegen die Alleinherrscher ») – geht alle Staatsgewalt vom Volke aus, dessen Vertreter in der Generalständeversammlung sitzen. Die Protestantische Union Südfrankreichs (Provinces-Unies du Midi) entspricht in ihrer Organisationsform dieser politischen Theorie : es handelt sich um ein Staatsgebilde, das in seiner Grundstruktur einer Bundesrepublik gleicht. Diese politische Sonderform hat über zwanzig Jahre lang bestanden.

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