Der Protestantismus in England im 16. Jahrhundert

Die Scheidung Heinrichs VIII. Stellt den Ausgangspunkt für die Errichtung einer nationalen Kirche mit Unterstützung des Parlaments dar. Nach elf wechselhaften Jahren nach dem Tod des Königs wird der Anglikanismus 1559 von Elisabeth I. eingesetzt.

Vor der Reformation

King`s College Chapel (Cambridge)

Nach großen Spannungen im 12. und dann im 14. Jahrhundert hatte England sich nach und nach von Rom distanziert. Bei den Streitigkeiten geht es um die Verteilung der kirchlichen Einkünfte, die Rom immer mehr entgehen. So hatte England schon vor dem 16. Jahrhundert eine gewisse Unabhängigkeit auf religiösem Gebiet erreicht.

Außerdem hatte John Wycliff (1320-1384) auf die Missbräuche der Kirche hingewiesen und die Autorität der Bibel betont, die er ins Englische übersetzt hatte. Sein Einfluss hatte auf die reformatorischen Ideen vorbereitet.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war der Humanismus in England eingedrungen, Erasmus (1466-1536) hatte zwei Jahre lang an der Universität Cambridge gelehrt und dabei eine ganze Generation von Theologen ausgebildet. Ebenfalls in Cambridge kommen die Ideen Luthers ab 1520 bei einer kleinen Gruppe von Universitätsangehörigen an, die das „kleine Deutschland“ genannt wurde. Unter ihnen befinden sich Thomas Cranmer und Matthew Parker, die künftigen Erzbischöfe von Canterbury.

Der Boden war bereitet für den Bruch Heinrichs VIII. mit Rom.

Die Scheidung Heinrichs VIII.

Briefmarke: Darstellung Heinrichs VIII © Collection privée

Heinrich VIII. (1491-1547) besteigt den Thron im Jahre 1509. 1504 hat er Katharina von Aragon (geboren 1485) geheiratet, die Witwe seines älteren Bruders. Die Heirat mit Heinrich VIII. war Gegenstand einer kirchlichen, von Papst Julius II. gewährten Dispens. Katharina bringt mehrere Kinder zur Welt; nur ein Mädchen, Maria, geboren 1516, wird überleben. 1527 hat der 36jährige König keinen männlichen Erben. Seine Besessenheit, einen männlichen Erben zu bekommen, um die Stabilität des Thrones zu sichern, drängt ihn dazu, die Scheidung von seiner älteren Frau einzureichen, um eine junge Frau zu heiraten, in die er sich verliebt hat: Anne Boleyn.

Heinrich VIII. hat Zweifel an der Rechtsgültigkeit seiner Heirat mit Katharina von Aragon in den Augen der Kirche. In der Tat, wie es in der Bibel steht (Leviticus 20,21): „Der Mann, der die Frau seines Bruders ehelicht, begeht eine Unreinheit.“ Papst Julius II. hätte diese Heirat nicht erlauben dürfen, die daher für ungültig erklärt werden muss. Aber die Angehörigen Katharinas berufen sich auf einen Vers aus dem Deuteronomium (Deuteronomium 25,5):„Wenn Brüder beieinander wohnen und einer von ihnen stirbt, so soll des Verstorbenen Frau keinen Mann von außerhalb, von einer fremden Familie, heiraten, sondern ihr Schwager soll sich zu ihr tun und sie ehelichen.“

Da es keine klare Lösung für die Grundsatzfrage gibt, entspinnt sich eine Diskussion um die Prozedur: war der Papst befugt, eine Dispens zu gewähren oder nicht? Schon im Mittelalter hatten die englischen Könige die Rechte des Heiligen Stuhls über die Kirche ihres Königreiches begrenzt und die Oberhoheit der königlichen Gerichte über die Pontifikalgerichte betont. Aber nur Papst Clemens VII. kann die erste Heirat von Heinrich VIII. für nichtig erklären.

Der Bruch mit Rom

Thomas Cranmer (1489-1556) © SHPF

Bis 1527 waren die Beziehungen zwischen Rom und London ungetrübt. Heinrich VIII. hatte sogar ein Werk geschrieben, das die Thesen Luthers über die Sakramente widerlegt. Papst Leo X. dankt ihm dafür und nennt ihn „Defensor fidei“. Aber die Bitte um die Annullierung seiner Ehe mit Katharina von Aragon stellt den Papst vor ein Problem. Er bemüht sich nämlich, Karl V., dem Neffen Katharinas, nicht zu missfallen. Er lässt die Anfrage Heinrichs VIII. zwei Jahre lang warten. Der König wird ungeduldig. Da er die Ehe nicht durch Rom hat annullieren können, lässt er im Mai 1533 die Scheidung von einem englischen Gericht aussprechen, eine Handlung, auf die Clemens VII. im März 1534 mit der Exkommunizierung des Königs antwortet.

Die Eheschließung mit Anne Boleyn wird vom neuen Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer (1489-1556), gesegnet.

Die Vertreter des Klerus erklären unter Zwang die neue Ehe des Königs für rechtsgültig.

Im November 1534 gewährt die vom Parlament verabschiedete Suprematsakte dem König und seinen Nachfolgern den Titel des „einzigen und obersten Oberhauptes der Kirche Englands“, das heißt sie legt alle kirchlichen Befugnisse allein in seine Hände. Die rechtliche Stellung des Papstes wird auf die des Bischofs von Rom beschränkt, ohne besondere Autorität auf englischem Territorium. Die Bischöfe und die Äbte mit Bischofswürde werden nicht mehr vom Papst geweiht, sondern vom König ernannt, der allein befugt ist, Disziplinarverfahren einzuleiten und die Ketzerlehren zu bekämpfen.

Von 1536 bis 1540 lässt der König die Auflösung der Klöster beschließen. Nach und nach werden ihre Besitztümer eingezogen. Die Kirche, die ein Drittel der Ländereien des Königreichs England besaß, verliert die Hälfte davon an die Krone, deren Kassen leer sind, oder an Verwandte des Königs.

Die Mönche und Nonnen verlassen die Klöster, einige Mönche werden Priester oder erhalten eine Rente.

Dieser Umsturz mit Hilfe des Parlamentes und der Versammlung des Klerus stößt nur auf wenig Widerstand, bis auf einige Ausnahmen, darunter die der Kanzlers Thomas Morus, der 1535 enthauptet wird, da er sich geweigert hat, dem König den Treueeid zu leisten (er wird 1935 heilig gesprochen).

Ein Katholizismus ohne Papst

Wird sich England nach dem Bruch mit Rom auf den Weg des Protestantismus begeben? Einige Maßnahmen haben es vermuten lassen: 1536 wird verordnet, das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis auf Englisch zu lehren und eine Bibel auf Englisch in allen Kirchen Englands auszulegen. Im selben Jahr zeigt das Gesetz der „Zehn Artikel“ eine Neigung in der Lehre zum Luthertum.

Das Gesetz der „Sechs Artikel“ von 1539 setzt den Hoffnungen der Anhänger der Reformation ein Ende, indem es die Hauptpunkte der katholischen Lehre wieder einsetzt, die Luther bekämpft hatte.

Beim Tod Heinrichs VIII. ist die Kirche Englands keine protestantische Kirche, sondern eine katholische Kirche ohne Papst.

Die Herrschaft Eduards VI. (1547-1553)

The Book of Common prayer (1550) © Justus.anglican.org

Eduard VI., Sohn von Heinrich VIII. und Jane Seymour, ist zehn Jahre alt, als sein Vater stirbt. Der Regent Lord Somerset ist dem Protestantismus gewogen. Er ist ein Freund des Erzbischofs von Canterbury, Thomas Cranmer, der selbst von den Ideen der Reformation angezogen ist. Von 1547 an darf die Reformation öffentlich gepredigt werden und nach und nach setzen sich durch Erlasse des Parlaments neue Bräuche durch:

Das Abendmahl in beiderlei Gestalt, die Entfernung der Statuen und Altäre aus den Kirchen und schließlich die Eheschließung der Priester. 1549 wird die Messe auf Latein abgeschafft und durch eine Liturgie auf Englisch ersetzt, das Book of Common Prayer von Thomas Cranmer: es bleibt in der anglikanischen Kirche bis ins 20. Jahrhundert hinein in Kraft. Das Ritual der Messe wird vereinfacht, aber nicht ganz abgeschafft. Einige Bräuche bleiben erhalten, wie zum Beispiel das Tragen der kirchlichen Gewänder, was den Gläubigen einen sanften Übergang erlaubt. Aber diese Liturgie ist eindeutig protestantisch, beeinflusst vom Gedankengut Luthers und Bucers. Jahrhundertelang wird die Beschaffenheit dieser neuen Liturgie die englische Frömmigkeit prägen.

Zahlreiche Reformatoren kommen vom Festland: John Knox wird der Beichtvater Eduards VI., Martin Bucer, der Straßburger Reformator, wird Professor an der Universität Cambridge, Pierre Vermingli, ein Italiener, der den Ideen Zwinglis anhängt, wird Professor in Oxford. Unter ihrem Einfluss breiten sich die reformatorischen Ideen aus. 1522 überprüft Cranmer das Prayer Book und berücksichtigt dabei einige Kritikpunkte Bucers an der Abendmahlsliturgie. Ebenfalls im Jahre 1552 stellt er die neue Lehre in Form von „42 Artikeln“ dar, die eher von der Reformation beeinflusst sind.

Die Herrschaft von Maria Tudor (1553-1558)

Holy Bible – in Genf 1560 ins Englische übersetzte Bibel (während der Verfolgung durch Maria Tudor) © Collection privée

Eduard VI. stirbt vor seiner Zeit. Im Jahre 1553 besteigt seine Halbschwester Maria Tudor den Thron. Als Tochter Heinrichs VIII. und Katharinas von Aragon ist sie eine fromme Katholikin. Mit Hilfe des Kardinals Pole, dem Legaten des Papstes, den sie zum Bischof von Canterbury ernennt, bemüht sie sich, die katholische Religion sowie die Verbundenheit mit Rom wieder in Kraft zu setzen. Alle unter Eduard VI. verabschiedeten Reformen werden aufgehoben. Zahlreiche Priester und Bischöfe werden abgesetzt. Die Gegner werden zum Scheiterhaufen verurteilt: etwa 300 zwischen 1555 und 1558, unter ihnen mehrere Bischöfe und sogar Thomas Cranmer, der ehemalige Erzbischof von Canterbury. Diese Hinrichtungen bringen Maria Tudor den Beinamen „Maria die Blutige“ ein. Der Mut der Märtyrer ruft die Sympathie der Volksmassen und Hass gegen Rom hervor. Die Lage ist widersprüchlich, denn die Beziehungen der Königin zu Papst Paul IV. sind schlecht und mehrere Bischofssitze bleiben leer. Mit dem Tod Marias, die keine Kinder hat, verschwindet der Gedanke einer Rückkehr Englands zum Katholizismus.

Die Herrschaft Elisabeths I.

Elisabeth I. von England erneuert die Suprematsakte © Collection privée - Reproduction Parc national des Cévennes
Matthew Parker von Theodor de Bry © Bibl. du Séminaire évangélique de Wittenberg

Im Jahre 1558 wird Elisabeth I., die Tochter von Heinrich VIII. und Anne Boleyn, Königin. Sie ist 25 Jahre alt. Ihre religiösen Überzeugungen werden den Historikern immer ein Rätsel bleiben. Sie lehnt zugleich den Calvinismus und die päpstliche Oberhoheit ab. Sie ist mit Hilfe der protestantischen Partei an die Macht gekommen und will Frieden in ihrem Königreich. Sie erhält ihn durch einen Kompromiss, das Settlement, das im Mai 1559 vom Parlament mit einer knappen Mehrheit (21 Stimmen dafür und 18 Stimmen dagegen) verabschiedet wird. Die nationale Kirche Englands wird durch den Willen des Herrschers und des Parlaments eingesetzt. Die Kirche Englands ist eine Nationalkirche, unabhängig gleichermaßen von Rom wie von Genf. Sie bleibt in ihrer Leitung, den Institutionen und Gesetzen eine mittelalterliche Kirche, aber ihrer Lehre und Liturgie nach ist sie reformiert. Darum wird der Anglikanismus oft der „Mittelweg“ genannt.

Das settlement besteht aus zwei Teilen:

  • Die Suprematsakte nimmt die von Heinrich VIII. wieder auf: die Königin hat die oberste Leitung der Kirche inne. Sie überwacht alle Aktivitäten des Klerus. Sie ernennt die Würdenträger und kann disziplinarische Entscheidungen treffen in Übereinstimmung mit den vom Parlament erlassenen Gesetzen.
  • Die Uniformitätsakte betrifft die Liturgie, der in allen Kirchen des Königreiches gefolgt werden soll. Die zugrunde liegende Liturgie ist die des Prayer Book von 1552, konservativ abgeändert in der Hoffnung, die wieder zu gewinnen, die dem Katholizismus näher stehen. Der Gebrauch der Priestergewänder wird beibehalten, sowie das Wort Priester, aber man spricht von „Abendmahlstisch“ und nicht mehr von Altar. Die Einsetzung des Abendmahls lässt zwei Formen nebeneinander bestehen, eine eher traditionelle und eine eher reformierte. Brot zu benutzen ist verboten, nur Hostien sind erlaubt. Der ausschließliche Gebrauch des Englischen in der Kirche ist allgemein verbreitet, alle Bürger werden angehalten, an den sonntäglichen Gottesdiensten teilzunehmen und nach dem neuen Ritus zum Abendmahl zu gehen. Diejenigen, die das ablehnen, werden „Zurückweiser“ genannt und setzen sich Geldstrafen aus, Gefängnisstrafen, ja sogar dem Tod für die Wiederholungstäter.

Im Jahre 1563 wird die Kirche Englands durch eine unter dem Namen „Achtunddreißig Artikel“ bekannte Parlamentsakte definiert, die 1571 zu den Neununddreißig Artikeln wird. Diese Doktrin ist klar protestantisch, aber es ist schwer zu sagen, ob sie eher lutherisch oder eher calvinistisch ist. Vor allem ist sie anti-päpstlich und anti-baptistisch.

Elisabeth entlässt die von Maria Tudor ernannten Bischöfe, die sich weigern, der Herrscherin den Treueeid zu leisten; sie ersetzt sie durch neue Bischöfe, von denen einige aus dem Exil auf dem Festland zurückkommen und von den Ideen aus Genf oder Zürich beeinflusst sind. Die Königin ernennt Matthew Parker (1504-1575) zum Erzbischof von Canterbury, der wie sie ein Gemäßigter ist. Die Vorsicht der Königin, was die religiösen Veränderungen angeht, erklärt sich auch aus politischen Gründen: sie muss die Allianz mit dem Spanien Philipps II. aufrechterhalten, um sich gegen Frankreich zu verteidigen bis zur Niederlage der unbesiegbaren Armada 1588.

Der Übergang zum Protestantismus von Klerus und Volk vollzieht sich allmählich während der ganzen Herrschaft von Elisabeth: fähige Geistliche werden in den Universitäten von Oxford und Cambridge ausgebildet und Abordnungen von Predigern durchziehen das Königreich. Zahlreiche Katechismen werden veröffentlicht und das Lesen der Bibel wird gefördert; die am meisten verbreitete Ausgabe ist die aus Genf, die für ihre calvinistischen Anmerkungen und Kommentare geschätzt wird.

Bibliographie

  • Bücher
    • CHADWICK Owen, The Reformation, Penguin Books, 1990
    • MILLER John, L’Europe protestante aux XVIe et XVIIe siècles, Belin-De Boeck, 1997
    • PICTON Hervé, Histoire de l’Église d’Angleterre, Ellipses, 2006

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