Melanchthon als "Lehrer Deutschlands"
Melanchthon blieb immer Humanist und hielt sprachlich-literarische Bildung für den ersten Schritt, um die Bosheit und Rohheit der Menschen zu überwinden. Man muss soll Rhetorik und Dialektik studieren und die antiken Autoren lesen, insbesondere Cicero.
Bildung „ent-roht“ den Menschen auch in moralischer Hinsicht. „Eruditio“ führt zu Humanität. Ein gebildeter Mensch fühlt sich verantwortlich für die Mitmenschen und respektiert ihre Gewissensfreiheit. Er nimmt sich selbst zurück und versucht, Konflikte durch Kommunikation, im Gespräch, zu überwinden.
Die Rückkehr zu den antiken Quellen schließt die Rückkehr zur wahren Quelle des Christentums, zur Bibel, und ihrem Hauptinhalt, Jesus Christus, ein. Melanchthon ist überzeugt, dass nur der Glauben an Jesus Christus den Menschen befreit und mitmenschlich handeln lässt : Humanität braucht „pietas“.
Weil alle Menschen die Bibel selbständig lesen sollen, forderten Luther und Melanchthon die Verbesserung der Elementarschulen. Melanchthon setzte sich insbesondere für Lateinschulen ein. Auf seinen Rat hin gründete die Reichsstadt Nürnberg eine „Hohe Schule“ als Bildungseinrichtung zwischen Lateinschule und Universität. Hier wurde den Schülern schon Griechisch angeboten. Melanchthon verfasste auch viele Schulbücher. Wegen seines Einsatzes für umfassende Bildung ehrte man ihn schon im 16. Jahrhundert als „Praeceptor Germaniae“, als „Lehrer Deutschlands“.
Der «Bauernkrieg» aus
1525 brach in Deutschland der „Bauernkrieg“ aus. Zahlreiche Klöster und Burgen wurden geplündert und zerstört. Die aufständischen Bauern und Bürger verlangten, dass ihre alten Rechte wieder hergestellt werden, und beriefen sich für diese Forderung auf das „göttliche Recht“, das sie aus der Bibel ableiten.
Melanchthon lehnte wie Luther diesen schlichten Biblizismus und seine „fundamentalistische“ Anwendung ab : nicht alle biblischen Gebote und Verbote können ohne weiteres auf die Gesellschaft angewandt werden. Für das Leben in der Gesellschaft sind allein die Zehn Gebote bindend ; ihnen entsprechen die allgemein-menschlichen Moralgesetze, wie sie sich ebenfalls bei heidnischen antiken Autoren finden.
(Die zwölf Artikel. Flugschrift, worin die wichtigsten Beschwerden der Bauern gegen geistliche und weltliche Obrigkeiten zusammengefasst wurden. © Bauernkriegsmuseum Kornmarktkirche Mühlhausen)
Schulunterricht als notwendige Grundlage des öffentlichen Lebens
Luther und Melanchthon betrachteten den Schulunterricht als notwendige Grundlage des öffentlichen Lebens, aus dem die Kirche nicht wegzudenken ist. Gerade die lebendige Frömmigkeit (pietas) braucht Bildung (eruditio), die vor allem durch das Lesen und Verstehen der Bibel erlangt wird. Nur so kann die religiöse „Verrohung“, als Folge von religiöser Unbildung und Unwissenheit, wie sie im Bauernkrieg zutage trat, vermieden werden.
Cicero, hervorragenden Mann
Melanchthon hielt Cicero für einen „hervorragenden Mann“, denn der habe in der menschlichen Vernunft jene moralischen Gebote und Verbote aufgespürt, die erforderlich sind, damit Menschen friedlich zusammenleben. Diese vernünftigen moralischen Vorschriften sind auch für Christen gültig. Christen dürfen also nicht mit Berufung auf die Bibel die gesellschaftliche Ordnung antasten oder außer Kraft setzen.
(Titelseite von Melanchthons Vorrede zu Ciceros Buch De officiis von 1525 © Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau)