Aufschwung des Protestantismus in Frankreich (1520-1562)
Seit 1520 gelangen die Ideen und Schriften Martin Luthers nach Frankreich bis ins Umfeld des Königs Franz I. Die Schwester des Königs, Marguerite d’Angoulême, fordert den Bischof von Meaux auf, seine Diözese zu reformieren. Der Bischof lässt Jacques Lefèvre d’Étaples kommen, den Verfasser einer französischen Übersetzung des Neuen Testaments, die von der Sorbonne verdammt worden war, und Gründer des verbotenen „Cénacle de Meaux“. Seine ins Französische übersetzten Schriften werden meist in der Schweiz gedruckt und in Frankreich heimlich gelesen. Die „Lutheraner“ genannten Protestanten gehören zur gesellschaftlichen Elite, die des Lesens kundig ist; sie werden zu Häretikern erklärt. Seit 1521 werden sie verfolgt: Strafen, Gefängnis, Tod auf dem Scheiterhaufen.
Organisation der protestantischen Kirche
Jean Calvin veranlasst die französischen Protestanten dazu, sich zur Kirche zu organisieren. Die erste Kirche entsteht in Meaux; ab 1555 werden weitere Kirchen in Paris und vor allem im Languedoc, in der Provence und im Garonne-Tal gegründet. In Paris findet 1559 eine heimliche Versammlung der Verantwortlichen dieser Kirchen statt. Auf der ersten Nationalsynode stimmt man über das Glaubensbekenntnis und über die Kirchenverfassung ab, die beide von Jean Calvin inspiriert sind. Seit 1555 nehmen die Übertritte zur reformierten Religion in den Städten und im Adel zu, besonders in den südlichen Provinzen, in der Normandie, in der Brie und Champagne.
1559, beim Tod Heinrichs II., ist ein Teil des Hochadels, der dem königlichen Rat zugehören darf, protestantisch geworden. Die dem Untergrund entwachsene Bewegung beginnt, politischen Einfluss zu gewinnen.
Vorboten der Religionskriege
König Heinrich II. ist von ehrgeizigen katholischen Hochadligen umgeben, besonders dem Herzog Franz von Guise, einem ruhmreichen und von den Parisern verehrten Feldherrn, und seinem Bruder, dem Kardinal Karl von Lothringen. Am 10. Juli 1559 stirbt der Monarch, den man als Bollwerk gegen die Invasion der Lutheraner ansieht, bei einem Unfall. Die Unruhe nimmt zu. Die Guisen ergreifen zuungunsten des jungen Königs Franz II. die Macht.
1560 wollen adlige Protestanten den jungen König Franz II. entführen, um ihn dem Einfluss der Guisen zu entziehen: die Verschwörung von Amboise genannte Unternehmung schlägt fehl. Die Guisen rächen sich durch zahlreiche Hinrichtungen, die Protestanten lehnen sich auf und bemächtigen sich katholischer Kirchen. Auf beiden Seiten nimmt die Gewalt zu. Die Witwe Heinrichs II., Katherina von Medici, übernimmt 1560 nach dem Tod Franz II. die Regierung, da der neue Herrscher Karl IX. erst 10 Jahre alt ist. Aus Furcht vor der Macht der Guisen und mit Unterstützung des neuen Kanzlers Michel de l’Hospital will sie die Protestanten im Hinblick auf den erhofften Religionsfrieden schonen. Durch die Schwäche der Monarchie gewinnen die Feudalherren an Macht: zur religiösen Krise kommt so noch die politische Krise. 1561 beruft Katharina von Medici katholische und protestantische Theologen zu einem Kolloquium nach Poissy ein, aber der Versuch einer Aussöhnung scheitert an der Frage des Abendmahls. Trotz dieses Misserfolgs erkennt Katharina von Medici im Edikt vom Januar 1562 offiziell die unterschiedlichen Religionen an und gewährt den Protestanten die Freiheit, Konsistorien zu bilden und Synoden abzuhalten, Gottesdienste außerhalb der Städte an beliebigen Tagen und in Anwesenheit königlicher Offiziere zu feiern. Pfarrer werden anerkannt und müssen den Autoritäten einen Eid leisten. Die Protestanten müssen dafür die Kirchen und sakralen Gegenstände zurückerstatten, deren sie sich bemächtigt hatten. Sie dürfen nichts gegen die Messen und katholischen Zeremonien oder deren Symbole unternehmen. Mit diesem Edikt ist der französische Protestantismus auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung angelangt.
Die katholische Bevölkerung, besonders im Norden Frankreichs, akzeptiert diesen Umschwung nicht. Die Leute misstrauen der Religion der „hohen Herrschaften“. Um so mehr, als die Protestanten aggressiver und gewalttätiger werden: Im März 1562 werden in Brignoles die Katholiken niedergemetzelt, heilige Bilder werden zerstört, Hostien entweiht und Priester angegriffen.
Dieselben Handlungsweisen sind bei den Katholiken, besonders in Nordfrankreich, zu beobachten. Die Massaker an Hugenotten in Carcassonne und Toulouse sind, nach der Ausdrucksweise Michelets, eine erste Bartholomäusnacht. Die Lage spitzt sich zu. Das Edikt vom Januar 1562 kommt zu spät, die Regentin kann es nicht durchsetzen. Die Religionskriege beginnen nach dem Blutbad in Wassy.
In Wassy, einer Stadt in der Champagne, wird am 1. März 1562 ein reformierter Gottesdienst in einer Scheune abgehalten, die sich wahrscheinlich innerhalb der Stadtbefestigung befand, sodass der Gottesdienst nach dem Edikt vom Januar nicht zugelässig war. Der Herzog von Guise, Besitzer der Ländereien, kommt mit seinen Leuten in die Stadt. Ein Streit bricht aus und endet in Gewalttätigkeit. Beim Angriff auf die Scheune kommt es auf protestantischer Seite zu fünfzig Toten, darunter Frauen und Kindern, und zu über 150 Verletzten. Die Protestanten sprechen von Absicht und betrachten dieses Blutbad als Anfang der Religionskriege. Für die Katholiken bedeutet der Angriff auf Orléans durch den Fürst Ludwig von Conde den Anfang der Religionskriege.
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Bibliographie
- Dokumente
- Bücher
- COTTRET Bernard, 1598, L’édit de Nantes, Perrin, Paris, 1997
- GARRISSON Janine, Henri IV, Le Seuil, rééd. 2008, Paris, 1984
- MIQUEL Pierre, Les Guerres de religion, Fayard, Paris, 1980
Dazugehörige Rundgänge
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Die acht Religionskriege im Detail
Die französischen Religionskriege ziehen sich sechsunddreißig Jahre lang hin. Das Königreich Frankreich ist damals mit 18 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land auf dem europäischen Kontinent. Die demographische Entwicklung beschleunigt sich...