Ein Protestant aus den Cevennen mit einem offenen Geist
André Chamson (Nîmes, 6. Juni 1900 – Paris, 9. November 1983) ist mit protestantischen Vorfahren in den Cevennen aufgewachsen, wo er geboren wurde, und die in Folge oft der Schauplatz seiner zahlreichen Romane sein werden, nachdem sie das Thema seiner Doktorarbeit waren. Nach seiner Schulzeit in Le Vigan und Alès begibt er sich 1918 nach Paris, um die Aufnahmeprüfung für die Hochschule von Chartres vorzubereiten. Während seines Studiums an der Sorbonne gründet er den französischen Zweig der „Vorticistes“, einer modernistischen Bewegung, durchdrungen vom Erbe des Symbolismus und Kubismus. Im Jahre 1922 begegnet er Lucie Mazauric (Anduze, 20. August 1900 – Paris 9. Juni 1983), einer Protestantin aus der Hochschule von Chartres wie er. Sie heiraten 1924. 1927 bekommen sie eine Tochter, Frédérique, benannt zu Ehren von Frédéric Mistral, die unter dem Namen Frédérique Hébrand Schauspielerin und Schriftstellerin wird.
Ein engagierter junger Mann
1925 veröffentlicht André Chamson seinen ersten Roman Roux le Bandit (Roux der Bandit), wo er seine pazifistischen Überzeugungen darlegt. 1926 wird er in der Nationalbibliothek angestellt und wird stellvertretender Chef des Büros von Edouard Daladier, dem Minister für öffentliche Bildung. Im gleichen Jahr betritt Lucie Chamson-Mazauric den Louvre.: sie wird 1938 zur Archivarin und Bibliothekarin ernannt, einen Posten, den sie bis zu ihrer Pensionierung 1965 inne behält. Im Jahre 1933 wird André Chamson zum stellvertretenden Konservator des Schlosses von Versailles ernannt. Er wird zu einer bedeutenden Persönlichkeit unter den engagierten Intellektuellen, er arbeitet in den 30er Jahren mit den Anhängern der Volksfront und gehört zu dem Wachkomitee der antifaschistischen Intellektuellen, das nach den Ereignissen von 6. Februar 1934 entsteht. 1935 begründet er mit Jean Guéhenno und Jacques Maritain die Wochenzeitschrift Vendredi, die Intellektuelle von André Gide bis Jacques Maritain vereint. Dort finden sich auch Jean Cassou, Jean Giono, Paul Nizan; Lucie Mazauric veröffentlicht dort Artikel über die Kunst. Vendredi kennt einen großen Publikumserfolg (die Zeitschrift erreicht schnell 100 00 Exemplare) und unterstützt 1936 die linke Partei; 1938 stellt sie ihr Erscheinen ein.
Im Sturm
Nach seinem Eintreten für die Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg wird André Chamson als Hauptmann bei den Alpenjägern rekrutiert als der Zweite Weltkrieg ausbricht. Im August 1939 schließt der Louvre ; das wehrpflichtige Personal geht zur Armee, das abwesende und nicht wehrpflichtige Personal wird zum Rückzug der Sammlungen beordert. So begleitet Lucie Chamson Werktransporte bei ihren verschiedenen Ortsveränderungen bis zur Abtei von Loc-Dieu im äußersten Süden des Aveyron, an der Grenze der Departements Lot und Tarn-et-Garonne.
Der von der Armee entlassene André Chamson trifft dort seine Frau und Tochter wieder. Sein Engagement in Vendredi und sein Antifaschismus für das republikanisch Spanien erklären, dass er von der damaligen Hierarchie nicht wieder als Konservator für das Museum von Versailles berufen wird. Jacques Jaujard, Direktor der nationalen Museen, ernennt ihn zum Beauftragten einer Mission in Loc-Dieu, danach in Montauban, als die Werke des Louvre ab September 1940 dorthin verlagert werden. André Chamson trifft dort René Huyghe wieder, den Direktor der Malerei-Abteilung des Louvre und Verantwortlichen des Depots in Montauban; Chamson wird sein Assistent bis 1945.
Er bleibt seinen Überzeugungen treu
Chamson ist von der Niederlage Frankreichs sehr betroffen und weigert sich, etwas zu veröffentlichen, solange das Land besetzt ist. Das hindert ihn nicht am Schreiben; aus Vorsicht versteckt er seine Arbeit in einem hohlen Baum, denn er wird von der Polizei von Vichy überwacht.
Von seinem Aufenthalt in Montauban haben die Einwohner den dunklen Roman Puits des miracles (Wunderbrunnen) im Gedächtnis behalten, der ihren Alltag beschreibt und die Schwärze des Lebens unter der Besatzung. Chamson erklärt dazu 1945 bei der Veröffentlichung des Werkes: Le puits des miracles mag eines der Bücher sein, wo sich die Schmach unserer Zeit widerspiegelt, aber es ist vor allem ein Buch über das Vertrauen in die Unzerstörbarkeit des Menschen. Von meinem ersten Buch bis zu denen, die ich vielleicht morgen schreiben könnte, habe ich immer nur geschrieben, um dies zu bezeugen“ Dieser Erklärung kann man das sehr schöne und bewegende Écrit en 1940 beifügen: „ich schreibe für den Tag der Freiheit. Ich schreibe, um die Verhexung der Niederlage zu beschwören…“, wo er seine Verbundenheit mit dieser Gegend und dieser Stadt beschreibt, die er von nun an als eine „zweite kleine Heimat“ betrachtet.
Verbindungen werden geknüpft, Freundschaften entstehen. So entsteht eine kleine Gemeinschaft in intellektuellem Einverständnis , deren Mitglieder ein ähnliches Ideal teilen. Außer Widerständlern und unter den so gefundenen Freunden kann man die Protestantinnen Elisabeth Schmidt zitieren, die erste Pastorin der Reformierten Kirche Frankreichs und ihre Schwester Sophie, eine im Widerstand engagierte Ärztin, die als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt wurde.
André Chamson versucht, ein österreichisches jüdisches Ehepaar (das er in seinem Puits des miracles „Herr Wien“ nennt), das in demselben Haus wie er wohnt, in sein Haus in den Cevennen auszuschleusen, aber sie werden kurz vor ihrer Abfahrt in die Freiheit verhaftet.
Im Jahre 1943 zwingen die Ereignisse die Verantwortlichen der Sammlungen, neue Schutzräume zu suchen. Nach einigen Wechselfällen beginnt der Umzug Anfang April und die Chamsons befinden sich im Depot La Treyne im Departement Lot. Chamson ist in der Résistance unter dem Pseudonym Lauter in Verbindung mit den Widerstandsbewegungen im Departement Lot; mit André Malraux, den er seit den Vorkriegszeiten kennt, nimmt er im Rahmen der Brigade Elsass-Lothringen an den Kämpfen für die Befreiung des Landes teil.
Die öffentliche Anerkennung
Nach dem Krieg wird André Chamson zum Konservator des Museums des Petit Palais ernannt; 1956 wird er zum Präsidenten des Pen-Clubs gewählt. Er sitzt auch im Aufsichtsrat des ORTF( der französische Rundfunk). 1959 schlägt ihn André Malraux für die Leitung der Archive Frankreichs vor. 1964 schafft André Chamson das Depot in Espeyran (Gard); man verdankt ihm ebenfalls das Depot der Archive von Übersee in Aix-en Provence und das von Fontainebleau für die zeitgenössischen Archive der Ministerien und zentralen Verwaltungen.
Die Idee für seine Kandidatur in der Académie Francaise wurde schon 1936 von Paul Valéry vorgebracht, aber erst 1956 wird André Chamson auf den Sessel des Barons Sellière gewählt mit den Stimmen von Jules Romains, André Maurois und Georges Duhamel.
el.
Er bleibt dem Protestantismus treu
André Chamson stirbt einige Monate nach seiner Gattin. Seine Beisetzung findet in der protestantischen Kirche Oratoire in Paris statt. Sie sind beide in den Cevennen begraben, mitten in der Natur auf dem Col de la Lusette: auf ihrem Grabstein ist in Faksimile das Resister (Widersteht) der Tour de Constance (in Aigues-Mortes) eingraviert.
Das schriftliche Werk von Chamson ist weitgehend von seiner Liebe zu den Cevennen geprägt und großenteils von seiner Verbundenheit mit dem Andenken und der Geschichte seiner hugenottischen Vorfahren inspiriert: Roux le bandit, L’Aigoual, Les Hommes de la route, Le Crime des justes, La Tour de Constance, um nur diese zu zitieren.