Der Protestantismus in Schottland
Die Kirche Schottlands ist eine reformierte, 1560 von John Knox nach calvinistischem Vorbild presbyterianisch begründet Kirche. Als die schottischen Herrscher Könige von England wurden, wollten sie sie der englischen Kirche angleichen und aus ihr einen Ableger des Anglikanismus machen. Das ganze 17.Jahrhundert war von nicht nachlassenden Auseinandersetzungen durchzogen, und erst 1690 wird der Presbyterianismus in der schottischen Kirche wieder hergestellt.
16. Jahrhundert: Übernahme der Reform in Schottland
Schottland ist im 16. Jahrhundert eine unabhängige Nation, die vom König (seit 1371 aus dem Hause Stuart) und dem Parlament regiert wird. Ununterbrochen musste es jedoch gegen die englischen Souveränitätsansprüche kämpfen; seit dem Mittelalter gab es zahllose Unabhängigkeitskriege zwischen Schottland und England. Im Kampf um die Unabhängigkeit war Schottland 1295 ein Bündnis mit Frankreich eingegangen.
1560 nahm das schottische Parlament die Reform nach dem Beispiel Genfs an. John Knox (1415-1572), der in Genf bei Calvin gelebt hatte, nachdem er Kaplan des jungen englischen Königs Eduard VI gewesen war, hatte dies bewirkt. Bei seiner Rückkehr nach Schottland, 1559, war die politische Lage aufgrund der Regentschaft der katholischen, von Frankreich unterstützten Marie de Guise gespannt. Knox schließt sich der antifranzösischen, den reformierten Ideen aufgeschlossenen Partei an, die mit seiner Hilfe 1559 die Macht übernimmt. Nach dem Tod von Marie de Guise beschließt das schottische Parlament 1560 den Bruch mit Rom und das Verbot der Messe. Eine Schottische Konfession wird von John Knox und fünf Mitarbeitern vorbereitet, sowie eine neue Liturgie, das Book of Common Order, und ein neues Buch der Kirchendisziplin.
Die reformierte Kirche Schottlands wird Nationalkirche, ist aber nicht wie die anglikanische Kirche Staatskirche, denn das Regierungsoberhaupt ist nicht zugleich geistliches Oberhaupt. John Knox folgt den Vorschriften Calvins, der die geistliche Freiheit der Kirche bewahren will.
Aber die Bischofsfrage ist nicht geregelt und Konflikte brechen aus. Die Unterstützer des Presbyterianermodells (die Kirche organisiert sich von den Kirchengemeinden zu den Kirchenkreisen zur Generalversammlung) setzen sich 1592 durch. Die Kirche Schottlands wird presbyterianisch. Die Bischöfe werden dennoch nicht abgesetzt und behalten ihren Sitz im Parlament, haben aber keine wirkliche Autorität mehr.
17.Jahrhundert: Presbyterianismus oder Episkopalismus?
1603 erbt Jakob VI von Schottland die Krone Englands. Unter dem Namen Jakob I (1603-1625) eint er die beiden Länder unter seiner Souveränität. England und Schottland bleiben aber bis 1707 zwei unabhängige Nationen. Die Monarchen aus der Stuart-Linie werden während des ganzen Jahrhunderts versuchen, der schottischen Kirche die bischöfliche Oberhoheit (Episkopalismus) aufzuzwingen, was zu zahlreichen Aufständen führt.
Jakob I lässt 1606 den Nachfolger von John Knox, Andrew Melwille (1545-1622), einen eifrigen Verfechter des Presbyterianismus, der zu Beginn seiner Laufbahn in Genf unterrichtet hatte, gefangen setzen. 1610 wird im Parlament die Rückkehr zum Episkopalismus beschlossen.
Die Auseinandersetzung verschärft sich unter seinem Sohn Karl I (1625-1649), der die Kirche Schottlands dem anglikanischen Modell anpassen will. Er führt 1637 das Book of Common Prayer ein, das drei schottische Bischöfen in seinem Auftrag nach dem Modell des englischen Prayer Book verfasst hatten. Die Einweihung dieser neuen Liturgie in der Kathedrale von Edinburg führt zum Aufstand der Gläubigen und eines großen Teils der Bevölkerung. Die Mehrheit der Schotten unterzeichnet 1638 den „National Covenant“ und bekundet damit Widerstand gegen liturgische Neuerungen, die nicht von den Kirchenversammlungen ratifiziert wurden. Am Ende desselben Jahres tritt eine Generalversammlung der Kirche zusammen, die alle vierzehn Bischöfe Schottlands absetzt. Schottland hat damit wieder eine presbyterianische Kirche.
Als Karl I versucht, die Kirchenreform mit Gewalt durchzusetzen, verbünden sich schottische und englische Aufständische, und es kommt zwischen Befürwortern und Gegnern des Königs zum englischen Bürgerkrieg (1642-1649). Schottische und englische Aufständische bekennen sich zum Glaubensbekenntnis von Westminster, das noch heute in der schottischen Kirche gültig ist.
Die Schotten waren gegen die Hinrichtung Karls I und rufen kurz danach seinen Sohn zum König Karl II aus. Er wird in Edinburg gekrönt, nachdem sie sich seiner Unterstützung für die presbyterianische Kirche Schottlands versichert hatten. Aber Oliver Cromwell fügt ihnen 1650 mit seinem Heer eine schwere Niederlage zu. Schottland wird danach vom General Monk als Protektorat Cromwells regiert.
Als die Monarchie wieder eingesetzt wird und Karl II zurückkehrt, werden die Bistümer in Schottland wie in England wieder eingeführt. Pastoren, die sich dem Episkopat widersetzen, werden abgesetzt.
Die Machtübernahme Wilhelms von Oranien und seiner Frau Maria im Jahr 1688 verändert die Lage: Die Kirche Schottlands wird 1690 wieder presbyterianisch. Einige spalten sich ab und gründen die schottische episkopale Kirche nach anglikanischem Muster.
18.Jahrhundert: Aufstände und Verfolgung
Die Unionsvereinbarung von Schottland und England unter dem Namen Großbritannien wurde 1707 gegen den Willen eines erheblichen Teils der Bevölkerung unterzeichnet. Die Schotten haben nun bis zur Wiederherstellung des schottischen Parlaments im Jahre 1997 ihren Sitz im Londoner Parlament des Vereinten Königreiches.
Auf Wilhelm und Maria folgt die Königin Anne Stuart (1702-1714). Als entschlossene Anglikanerin schützt sie die schottischen Episkopalisten und gestattet ihnen im Toleranzakt von 1712 die Ausübung ihres Kults nach dem Ritus des Prayer Book. Die Zahl der Bistümer steigt wieder.
Nach ihrem Tod geht die Krone gemäß dem 1701 beschlossenen „act of settlement“, der jeden katholischen Bewerber vom Thron ausschließt, auf das Haus Hannover über. Der letzte Stuart, Jakob II, hatte sich zum Katholizismus bekehrt und war dadurch von der Thronfolge ausgeschlossen. In Schottland behielten er und seine Nachkommenschaft zahllose Anhänger.
Aufstände zugunsten der Stuarts wurden niedergeschlagen, zuerst 1715 und dann 1745 unter der Führung eines Enkels von Jakob II, genannt „Bonnie Prince Charles“. Pastoren und Bischöfe, die aus Treue zu den Stuarts den Treueeid auf das Haus Hannover verweigert hatten, wurden verfolgt.
Diese Verfolgung trifft die Episkopalkirche besonders hart, zahlreiche Gebäude wurden verbrannt und ihre Pastoren eingekerkert. Sie wurde dadurch sehr geschwächt.
Ende des Jahrhunderts geht eine Wiedererweckungsbewegung durch das Land. Zahllose Pastoren und Laien wie James und Robert Haldane durchziehen Schottland und predigen unter freiem Himmel nach dem Beispiel von de Wesley und de Whitefield, den Gründern des Methodismus.
19.Jahrhundert: Die Spaltung der Presbyterianischen Kirche
Der Konflikt um die Unabhängigkeit der schottischen Kirche von der weltlichen Macht verschärft sich in der ersten Jahrhunderthälfte noch und führt 1843 zur Spaltung. Streitpunkt ist die Einsetzung der Pastoren. Die Gemäßigten lassen das Eingreifen der bürgerlichen Macht bei der Ernennung zu, wie es vom Londoner Parlament 1707 abgestimmt, aber von den Schotten nur schwer akzeptiert worden war. Die der Lehre Calvins näher stehenden Protestanten verlangen eine größere Unabhängigkeit der Kirche. Ihr Anführer ist der Pastor Thomas Chalmers (1780-1847). Nach zehnjährigen Auseinandersetzungen spaltet sich die Kirche auf einer Hauptversammlung: 451 Pastoren verlassen die etablierte Kirche. Damit verzichten sie auf ihre Gemeinde, ihr Pfarrhaus und ihre Besoldung. Sie gründen die freie Kirche, deren Gläubige in einer ausserordentlichen Anstrengung den Bau 500 neuer Kirchen, die Besoldung der Pastoren und missionarische Werke finanzieren.
1874 schafft das Parlament das Eingreifen der Zivilbehörden bei der Ernennung der Pastoren der Kirche Schottlands ab, aber die Vereinigung der Kirchen wird erst im folgenden Jahrhundert stattfinden.
In theologischer Hinsicht findet die kritische Bibelexegese, wie sie in Deutschland seit den 1830er Jahren betrieben wird, in Schottland erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Eingang. Durch die Kirchenspaltung hatte man den Anschluss an den theologischen Fortschritt verloren, da die beiden Kirchen den traditionellen Positionen und einer strengen calvinistischen Orthodoxie verhaftet blieben. 1875 schreibt William Robertson Smith (1846-1894), ein junger Theologe, der nach dem Studium in Aberdeen und Edinburg nach Deutschland gegangen war, den Artikel „Bibel“ für die englische Enzyklopädie. Seine der deutschen Schule entstammenden Auffassungen über den Ursprung des Pentateuch, die Zusammensetzung der Evangelien, die unterschiedlichen Autoren der Psalmen schlagen beim unvorbereiteten Publikum wie eine Bombe ein. Nach einem fünfjährigen Verfahren, an dem die öffentliche Meinung und die Presse heftigen Anteil nimmt, wird er von seiner Professur an der Universität Aberdeen relegiert. Seine Ideen werden in der nachfolgenden Generation von der Mehrheit der schottischen Kirchen angenommen.
20.Jahrhundert: Wiedervereinigung der Kirche Schottlands
Erst 1929 kommt es nach der Einigung der verschiedenen presbyterianischen Kirchen zur Gründung der „Kirche Schottlands“. Dem war der Parlamentsakt von 1921 vorangegangen, der die geistliche Unabhängigkeit der Kirche Schottlands, mit Jesus Christus als deren einziges Oberhaupt und König garantierte. Nur wenige Gemeinden lehnen diese Vereinigung ab und bilden einige wenige unabhängige presbyterianische Gemeinden. Ein Vorhaben, mit der schottischen Episkopalkirche zusammenzugehen, wird von den Presbyterianern 1980 abgelehnt.
Die erste Pastorin der Kirche Schottlands wird 1969 in ihr Amt eingeführt. Die Kirche Schottlands hat heute unter 1400 Pastoren 170 Pastorinnen. 42% der Schotten gehören der Kirche Schottlands an. Die Kirche Schottlands zählt über 1 100 000 Mitglieder, davon hat die Episkopatskirche anglikanischer Konfession 45 000 und die freie vereinte Kirche Schottlands (presbyterianisch) nur 4 400 Mitglieder.
Seit der Missionarischen Versammlung in Edinburg im Jahr 1910 engagiert sich die Kirche Schottlands in der ökonomischen Bewegung; sie gehört dem Ökomenischen Rat der Kirchen (C.O.E.) sowie lokal der Bewegung „Action of Churches together in Scotland“ an.
Als Reformierte Kirche gehört sie dem Reformierten Weltbund, der Konkorde von Leuenberg und der Konferenz Europäischer Kirchen an (KEK).
Weltweite Ausbreitung
Die Vereinigung mit England und die schottische Emigration sind für die weltweite Verbreitung des Presbyterianismus ausschlaggebend gewesen. Viele Schotten haben sich in den Vereinten Staaten und Kanada, besonders in Neu-Schottland, niedergelassen und gründeten dort presbyterianische Kirchen.
Außerdem wurde in allen Ländern des Commonwealth presbyterianisch missioniert. Schließlich haben sich die amerikanischen Presbyterianer in Schwarzafrika, Lateinamerika und im Fernen Osten ausgebreitet. In Korea ist die presbyterianische Kirche heute besonders stark.
Website der Kirche Schottlands (The Church of Scotland)
Bibliographie
- Bücher
- MILLER John, L’Europe protestante aux XVIe et XVIIe siècles, Belin-De Boeck, 1997
Dazugehörige Vermerke
-
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John Knox (1513-1572)
John Knox ist der Reformator Schottlands. Nach einem Aufenthalt in Genf führt er in seinem Heimatland die „reformierte Reformation“ ein. -
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