Der Protestantismus in England im 19. Jahrhundert

Während die Kirche Englands eine tiefgehende Reform durchlebt, entstehen in ihrem Schoß zwei Strömungen, die Oxford-Bewegung, eine Bewegung der Annäherung an den Katholizismus, sowie der religiöse Liberalismus. Aber die Evangelikalen bleiben im Vordergrund durch ihren Aktivismus im sozialen Bereich und ihre Missionstätigkeit.

Die Reform der Kirche Englands

Cambridge, die Kirche Great St. Mary @ Private Sammlung © Collection Privée

In den ersten Jahren des Jahrhunderts, als Reaktion auf die Ausschreitungen der französischen Revolution, beherrscht der Konservatismus die englische Gesellschaft und die Kirche. Die Lage ändert sich um 1830. 1838 erhalten die Katholiken endlich Zugang zum öffentlichen Dienst und 1839 können sie ebenso wie die Non-Konformisten ins Parlament gewählt werden. Im Jahre 1830 gelangt die Whig-Partei an die Macht und beginnt, sich um die Skandale der Kirche Englands zu kümmern und um die sehr ungerechte Verteilung ihrer Reichtümer. Antiklerikale Aufstände brechen aus und zielen vor allem auf die Bischöfe und Priester, die kirchliche Gewinne anhäufen und nicht in ihren Gemeinden wohnen. Im Jahre 1835 wird eine Kommission ernannt, um die Kirche zu reformieren und die schlimmsten Ungleichheiten auszugleichen. Die Reform war lang, aber sie erlaubte der Kirche, sich zu modernisieren. Zu dieser von außen aufgezwungenen Reform gesellt sich eine innere Reformbewegung, bekannt unter dem Namen „Oxford-Bewegung“.

Die Oxford-Bewegung

J.H. Newman © Collection Privée

Diese Bewegung stellt eine Reaktion auf die wachsende Säkularisierung dar und auf die Tatsache, dass die Autorität der Bischöfe innerhalb der Kirche immer mehr in Frage gestellt wird. Ihr Anführer ist John Henry Newman (1801-1890), ein bemerkenswerter Prediger, der in Oxford mit seinen Freunden eine neue Inbrunst im Schoß der High Church verbreitet, das heißt der Kirche, die der Liturgie des Prayer Book am meisten anhängt.

Er besteht auf der apostolische Nachfolge in der Kirche Englands und zeigt 1841, dass die 39 Artikel, die Grundlage des Anglikanismus, in einem katholischen Sinn interpretiert werden können. Die Polemik, die daraus folgt, zwingt Newman zum Rücktritt und dann 1845 zum Übertritt zum Katholizismus. Die Bewegung überlebt, allerdings indem sie das Ritual stärker betont und liturgische, dem Katholizismus nahestehende Praktiken einführt.Man nennt sie „anglo-katholisch“.

Die Evangelikalen

Von der englischen Bibelgesellschaft während der Verfolgung (1835) nach Madagaskar geschickte Bibel © Bibl. de la Société Biblique britannique et étrangère

Um 1850 stellen die evangelikalen Pfarrer ein Drittel des anglikanischen Klerus. Die Ernennung zahlreicher evangelischer Bischöfe vermehrt noch ihren Einfluss, führt aber zuweilen auch zu Konflikten innerhalb der Diözesen. Die Evangelikalen arbeiten unermüdlich an sozialen Reformen, kämpfen gegen den Alkoholismus, die Prostitution und führen eine Erziehung für die Armen ein. Sie schaffen ein im britischen Empire sehr wichtiges Missionswerk, dann gründen sie die Bibelgesellschaft, die dazu beiträgt, die Bibel in der Welt dank zahlreicher Übersetzungen in Landessprachen zu verbreiten. Sie bekämpfen die Korruption im öffentlichen Leben und versuchen, die strikte Sonntagsruhe einzuführen. Ihre moralisierende Haltung und ihre als exzessiv beurteilte Strenge, verstärkt durch das Beispiel von Königin Viktoria, führen schließlich zu einer Ablehnung von Seiten der Bevölkerung.

 

Der religiöse Liberalismus: die Broad Church

Darwin, Die Entstehung der Arten @ Private Sammlung

Die Fortschritte in der Naturwissenschaft und besonders das Buch von Darwin über die Entstehung der Arten (1859) führen zu einem dauerhaften Konflikt zwischen Naturwissenschaft und Religion. Dazu gesellt sich die deutsche Bibelkritik, die in England seit den 1860er Jahren spürbar wird. Ein Werk von sieben Theologen, um diese neuen Ideen zu verteidigen, löst einen Skandal aus und führt zu einer lebhaften Kontroverse. Diese legt sich um 1875.

Die Anhänger der Broad Chruch, die bereit sind, diese Neuerungen der Naturwissenschaft und der Bibelkritik aufzunehmen, wollen eine antidogmatische, tolerante Kirche, die die Non-Konformisten einschließt. Sie verbünden sich oft mit den Sozialen Christen, die sich darum bemühen, Glauben und soziale Gerechtigkeit zu versöhnen.

Die Lambeth-Konferenzen

Konferenz von Lambeth (1998) © J. Solheim - episcopalchurch.org

Um die Einheit zwischen den verschiedenen anglikanischen Kirchen des britischen Reiches zu bewahren, versammelt sich 1867 eine Konferenz aller anglikanischen Bischöfe in Lambeth unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Canterbury. Bei der dritten Zusammenkunft wird das Lambeth-Viereck angenommen, das die Grundlagen der anglikanischen Kirche definiert: Die Bibel als Grundlage des Glaubens, das Apostolische Glaubensbekenntnis und das von Nicäa als Credo, die beiden Sakramente Taufe und Eucharistie, das historische Episkopat.

Die Konferenzen finden weiterhin alle zehn Jahre statt und behandeln alle Themen, die in den Kirchen der anglikanischen Gemeinschaft zur Debatte stehen.

Die Freikirchen

Stiftskapelle in Lymeregis (Dorset, England) © Collection Privée

Der am Ende des 19. Jahrhunderts geprägte Begriff Freikirche ersetzt den der Kirche der Dissidenten oder Non-Konformisten. Die Freikirchen umfassen die Dissidenten des 17. Jahrhunderts (die Unabhängigen oder Kongrationalisten, die Baptisten, die Presbyterianer, die Quäker) und die des 18. Jahrhunderts (die Methodisten).

Die Akte von 1828, die den Non-Konformisten den Zugang zum Parlament öffnet, ist der Ausgangspunkt für einen langen Kampf für die komplette Gleichstellung mit den Anglikanern (zum Beispiel wird ihnen der Zugang zu den Universitäten erst 1871 gewährt).

Die Verbreitung der Non-Konformisten geht im ganzen Jahrhundert weiter und sie errichten zahlreiche Gebetshäuser. Die Kongregationalisten und die Baptisten verdoppeln ihre Mitgliederzahl. Die Zahl der Presbyterianer nimmt ab und viele werden Unitarier, das heißt sie lehnen das Trinitätsdogma ab. Die Methodisten verlieren zahlreiche Anhänger um 1840 in Folge einer internen Spaltung, doch in der Folge holen sie wieder auf.

Der erste Kongress, der alle Freikirchen versammelt, findet 1892 statt und wird 1896 zum Ständigen Rat der Evangelischen Freikirchen, um die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kirchen zu stärken.

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Bibliographie

  • Bücher
    • PICTON Hervé, Histoire de l’Église d’Angleterre, Ellipses, 2006

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