Die Ökumene, warum und wie?

Seit Gründung der ersten christlichen Gemeinschaften gibt es zwei Gründe zur Sorge: der erste handelt davon, in diesem gemeinsamen Haus (oekos), das die Erde ist, zusammenzuleben, und der zweite betrifft die Bemühungen um die Einheit der Christen. Die Auseinandersetzungen können tiefe Unterschiede, die sich über Jahrhunderte erstrecken, nicht vermeiden.

Ab dem 20. Jahrhundert entwickelt sich die Ökumene und ihr Ziel weitet sich aus: Aktionen für Begegnungen, Dialoge und gemeinsames Handeln werden entwickelt, doch die Abendmahlsgemeinschaft, die die Christen individuell betrifft, kann nicht verwirklicht werden.

Ziel der Ökumene

  • New Delhi 1961
    New Delhi 1961 © Collection Privée

Während das Adjektiv griechischen Ursprungs „ökumenisch“ sehr alt ist, geht der Begriff auf das 19. Jahrhundert zurück. Die Ökumene impliziert Debatten. Ihr Ziel ist zweifach: die Sorge um ein gemeinsames Leben der Menschheit auf der ganzen bewohnten Erde und das Streben nach einer Verschiedenheit nicht ausschließenden Einheit der Christen.

Man unterscheidet die Ökumene, den Dialog zwischen Christen, und das Interreligiöse, den Dialog zwischen den Religionen.

Geschichte der Ökumene

  • Pères de l'Eglise
    Kirchenväter © Wikimedia commons

Damit alle gemeinsam auf der Erde leben können

Das vorherrschende Anliegen der ganzen Menschheit findet sich im Neuen Testament, besonders bei Matthäus 25,31-46: „Alle Nationen werden vor ihm versammelt sein …“

Die Anfänge des Christentums sind durch das ökumenische, die von uns gemeinsam bewohnte Erde betreffende Anliegen gekennzeichnet. Auch wenn die Verschiedenheit und die Bedeutung des Kontexts und der Erfahrungen anerkannt werden, so äußert sich dieses Anliegen in der Behauptung, dass es nur eine Menschheit gibt. Und es trägt die Hoffnung einer bewohnbaren Erde in sich, die jedem freundlich gesonnen sei entsprechend der der Lehre des Christentums und seiner eschatologischen Erwartung zu Grunde liegenden universellen Dimension.

Die ersten christlichen, recht unterschiedlichen Gemeinschaften haben dieses Anliegen übernommen, unterstützt von den Kirchenvätern. In ökumenischen Konzilen, die Lehrsätze festgelegt haben, haben sie eine kirchliche Organisation ausgearbeitet, ohne die Auseinandersetzung zu fürchten. Diese hat zu dauerhafter Übereinstimmung in bestimmten Punkten geführt. Die Hinwendung Kaiser Konstantins zum Christentum war dabei ein entscheidender Schritt. In der Folge sind die Debatten weiterhin im Rahmen der Kirche angereichert worden.

Die Weiterentwicklungen der christlichen Konfessionen © Musée Virtuel du Protestantisme

  • Briefmarke: Darstellung Martin Luthers und Johannes Calvins
  • Der Bauernkrieg © Collection privée
  • Bartholomäusnacht - 24. August 1572
    Bartholomäusnacht - 24. August 1572 © S.H.P.F.

Debatten auf der Suche nach einer dogmatischen Einheit

Die durch die Dogmen aufgeworfenen Fragen haben ständig zu neuen Debatten geführt. Sie haben zur Grundlage das Neue Testament, besonders folgende Verse:

  •  Johannes 17,21: „auf dass alle eins seien“
  •   Epheser 4,3-6: „ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“
  • Und auch Johannes 14,2: „es gibt viele Wohnungen im Haus meines Vaters“

Die ersten ökumenischen Konzile hatten zum Ziel, die Lehre genauer zu klären, um die Einheit zu bewahren. So beruft Kaiser Konstantin (288-337) das Konzil von Nicäa (325) ein, das den die Gottheit Christi leugnenden Arianismus verurteilt. Die darauffolgenden ökumenischen Konzile erläutern weiterhin die Lehre der Kirche, besonders die von Ephesus (431) und Chalcedon (451). Aber diese Konzile verdammen die dem von ihnen festgeschriebenen Dogma entgegenstehenden Ideen. Danach folgen die nestorianischen und monophysitischen Schismen über die menschliche oder göttliche Natur Christi.

Der christliche Antisemitismus entsteht aus der gegen die Juden vorgebrachten Anschuldigung, Gott in Jesus Christus getötet zu haben. Diese Anschuldigung geht den ersten ökumenischen Konzilen voraus.

Die Frage des „filioque“ (der Heilige Geist geht aus dem Vater und dem Sohn hervor), die von der lateinisch-katholischen Kirche ins Credo aufgenommen wurde, bildet den Ursprung des Morgenländischen Schismas (1054), der Trennung der orthodoxen Kirchen und der lateinischen Kirche.

So führen die aufeinanderfolgenden Debatten zur Festschreibung der Dogmen nicht zu Einverständnissen und es entstehen daraus Schismen, Exkommunizierungen und Bannflüche.

Später hat die Reformation des 16. Jahrhunderts zur Entstehung von protestantischen Kirchen geführt. Das Eingreifen der politischen Mächte führt daraufhin zu Verfolgungen und Religionskriegen in den meisten europäischen Ländern.

  • John Raleigh Mott (1865-1955) © Wikimedia commons
  • W.A. Visser't'hooft (1900-1985) und Kardinal Bea © Fédération Protestante de France

Die Ökumene seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Im 20. Jahrhundert entwickelt sich das Ziel der Ökumene weiter. Die Entwicklung geht hauptsächlich auf die damals recht verstreuten protestantischen Milieus zurück, die versuchen, ihre missionarische Tätigkeit stimmiger und wirksamer zu machen. So beginnt eine intrakonfessionelle Ökumene.

Doch nach und nach erweitert die Ökumene ihre Zielsetzungen und nimmt eine multikonfessionelle Dimension an. Die Anglikaner und Orthodoxen interessieren sich dafür und nehmen aktiv an den Arbeiten des 1897 gegründeten Christlichen Studentenweltbundes teil. Sie beteiligen sich an einigen Vorarbeiten für die 1948 geschaffene Verfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen.

Die römisch-katholische Kirche weigert sich lange, an diesen Forschungen teilzunehmen. Sie betrachtet sich in der Tat als der einzig mögliche Ort der sichtbaren Einheit der Kirche gemäß der Autorität ihres Lehramtes. Nach einigen schwierigen, ja eher feindlichen Episoden, besonders der Enzyklika Mortalium animos (1927), werden vertiefte Diskussionen aufgenommen.

Zwei Dimensionen der Ökumene zeichnen sich ab. Die eine betrifft ein Engagement, das sich vor dem Hintergrund des Evangeliums um die von gewissen Entwicklungen nicht vermiedene Unordnung und Ungerechtigkeit sorgt. Die andere ist eher geistlicher Natur. Diese Dimensionen kreuzen sich oft und bereichern sich gegenseitig durch ihre Debatten.

Die aktuelle Ökumene hat zum Ziel die Fortführung des Dialogs, der zwischen den christlichen Kirchen wiederaufgenommen wurde, was ein gemeinsames Eingreifen in gesellschaftlichen Themen erlaubt.

Auch hervorzuheben ist die 2001 erfolgte Unterzeichnung der europäischen Charta Oecumenica zwischen der Konferenz der Europäischen Kirchen (Orthodoxe, Protestanten und Anglikaner) und dem Rat der europäischen (katholischen) Bischofskonferenz. Diese Charta enthält eine Klausel über die Nichtkonkurrenz.

Die Suche nach einer Einheit der Lehre führt nicht notwendigerweise zu Bannflüchen oder Kriegen.

Die verschiedenen Lehrmeinungen können auch Gegenstand eines folgenlosen Nichteinverständnisses sein oder einer differenzierten Übereinstimmung. Sie können sogar relativiert werden nach dem Beispiel der 1871 erfolgten Gründung der Evangelischen Kirche der Preußischen Union durch den Preußenkönig Friedrich Wilhelm III., der Reformierte und Lutheraner vereinte.

So hat die Leuenberger Konkordie (1973) den lutherischen und reformierten Kirchen ermöglicht, sich als völlig vereint zu erklären; daraus ist die Vereinigung der lutherischen und reformierten Kirchen in mehreren europäischen Ländern entstanden, wie z. B. in Frankreich, wo die Gemeinden entweder lutherisch oder reformiert geblieben sind.

Aber die Verschiedenheit zwischen den christlichen Kirchen ist noch zu groß, als dass in einer näheren Zukunft die Einheit in Verschiedenheit nach einem solchen Modell erreicht werden könnte.

Das ökumenische Leben in den Gemeinden und Pfarreien

  • Konzil Vatikanstadt II (1962-1965) © Lothar Wolleh
  • Logo de la CEC - KEK
  • Jean-Arnold de Clermont à la Communauté européenne © EC

Ökumene durch Begegnungen und gemeinsame Aktionen

Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und besonders nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) hat die Ökumene bedeutende Fortschritte erzielt: nach jahrhundertelangen Streitereien werden sich die Kirchen der Notwendigkeit bewusst, untereinander Verbindungen herzustellen; daraus ergibt sich die Wiederaufnahme von Dialog und Begegnungen auf verschiedenen Ebenen. Diese Annäherungen erlauben es, gemeinsam die Positionen der Kirchen gegenüber den Staaten auf Gebieten wie Umwelt, Klima und Einwanderung zu verteidigen.

So können der Rat der europäischen Bischofskonferenzen (katholisch) und die Konferenz der christlichen Kirchen (KEK), die die europäischen protestantischen, orthodoxen und anglikanischen Kirchen vereint, gemeinsam bei der Europäischen Kommission oder beim Europäischen Parlament tätig werden.

In Frankreich versammelt der 1987 gegründete Rat der christlichen Kirchen in Frankreich (CECEF) die Vertreter der Kirchen, um bei den Staatsträgern vorstellig zu werden. Der Vorsitz wechselt zwischen dem Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz, dem Vorsitzenden des Rates der orthodoxen Bischöfe und dem Vorsitzenden der Protestantischen Föderation Frankreichs ab.

Auf Regionalebene versammeln sich regelmäßig Arbeitskreise zwischen den Vertretern der Kirchen, gerade auch um Feierlichkeiten zur Gebetswoche für die Einheit der Christen und zu Ostern zu organisieren. Diese Vertreter treffen sich auch ab und zu auf nationaler Ebene.

Auf örtlicher Ebene entwickeln sich bilaterale ökumenische Aktivitäten zwischen katholischen und protestantischen Gemeinden: sie bestehen aus gemeinsamer Bibelarbeit, Kanzeltausch, gegenseitigen Hilfsaktionen. Ihre Entstehung und ihr Fortbestand hängen vom Pastor oder Kaplan der betreffenden Gemeinden ab.

Es gibt auch ökumenische Vereine, die mehrere katholische, protestantische, orthodoxe Gemeinden zusammenbringen. Sie organisieren Feierlichkeiten zur Gebetswoche für die Einheit, Begegnungen zum Osterfest, Gebetsgruppen, Konferenzen, Ausstellungen, oft in Zusammenarbeit mit den Juden.

Die Ökumene ist Gegenstand einer Lehre. In Frankreich ist das Institut Supérieur d’études œcuméniques (Institut für ökumenische Studien, ISEO) zu erwähnen, das am Katholischen Institut Paris zum Diplom und bis hin zur Promotion führenden Unterricht erteilt.

Es gibt auch eine innerprotestantische Ökumene: Dialog zwischen den historischen protestantischen Kirchen (lutherischen und reformierten) und denen der Evangelikalen Kirchen sowie gelegentliche Begegnungen ihrer Pastoren.

Ethnische protestantische Gemeinden asiatischer oder afrikanischer Herkunft sind in Westeuropa entstanden, besonders in den Vororten der Großstädte. In Frankreich hat die Protestantische Föderation Frankreichs 2006 das Projekt Mosaik ins Leben gerufen, um die Begegnung und Zusammenarbeit der protestantischen Christen verschiedener Kultur und Herkunft zu fördern. Das Projekt Mosaik ist 2014 mit dem ökumenischen Dienst der Föderation zum „Dienst der Beziehungen zwischen den christlichen Kirchen“ verschmolzen.

Einige ethnische protestantische Gemeinden feiern ihren Gottesdienst in den traditionellen protestantischen Kirchen und es kommt auch vor, dass Personen zugleich Mitglied einer ethnischen und einer traditionellen Kirche sind.

  • © Godong

Die Ökumene für die Christen als Individuen

Die Gläubigen stimmen der Theologie ihrer Kirche zu, sind aber im Allgemeinen weniger von theologischen Differenzen betroffen als ihre Kirchen.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind die Protestanten von den Katholiken besser angesehen als vorher. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil steht das christliche Gemeindeglied, wie auch immer es um seine Verbundenheit mit dem Dogma seiner Kirche steht, der Ökumene allgemein positiv gegenüber. Es kann die von seiner Gemeinde veranstalteten ökumenischen Begegnungen nutzen. Aber es kann den Eindruck gewinnen, dass es wenig Fortschritt gibt, zumindest was es persönlich betrifft: das Abendmahl – die Kommunion.

In der Tat ist die Interkommunion, das gemeinsame Abendmahl, zwischen Protestanten und Katholiken nur selten möglich, denn es setzt eine spezielle Erlaubnis des Bischofs der betreffenden Diözese voraus. Darum hat das protestantische Gemeindeglied den Eindruck, dass die Ökumene wenig Fortschritte macht.

Mischehen (interkonfessionellen Paare) sind am meisten betroffen.

Gemischte Ehen zwischen Protestanten und Katholiken, früher gefürchtet oder sogar verboten, werden häufig geschlossen.

In Frankreich, wo die Protestanten stark in der Minderheit sind, gibt es eine geringe Anzahl von protestantisch-katholischen Ehen: diese Ehen sind also in der protestantischen Bevölkerung viel häufiger als in der katholischen. Dieses Phänomen wird durch die Tatsache verstärkt, dass die Protestanten, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hauptsächlich untereinander heirateten, es seitdem sehr viel weniger tun.

In Deutschland dagegen, wo die protestantische und katholische Bevölkerung etwa gleich groß ist, gibt es natürlich sehr viel mehr Mischehen und diese betreffen die beiden Bevölkerungen in etwa gleichem Maße.

Was einen Protestanten, der sich auf eine protestantisch-katholische Mischehe vorbereitet, vor allem betrifft, sind die Modalitäten seiner Eheschließung, die Taufe seiner Kinder und die Eucharistie. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil enthält die katholische Dispens nicht mehr die Verpflichtung, die Kinder im katholischen Glauben zu erziehen. Die protestantische Taufe wird von der katholischen Kirche anerkannt, aber die Frage der Eucharistie bleibt weiterhin bestehen: einem aus Deutschland gekommenen Vorschlag zum Trotz erlaubt der Vatikan auch 2018 immer noch nicht, dass die Eheleute gemeinsam das Abendmahl/ die Kommunion einnehmen, weder auf der einen, noch auf der anderen Seite.

Entretien entre Gérard Rouzier et Antoine Nouis (5:23 min)

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