Die protestantische Presse
im 19. Jahrhundert

Die im 19. Jahrhundert entstandene protestantische Presse hat verschiedene, ihrem jeweiligen Leserkreis angepaßte Erscheinungsformen : Zeitschriften für die Führungskräfte, landesweite Informationsblätter, regionale Mitteilungen und schließlich auch Berichte über protestantische Stiftungen und das Vereinsleben. Hinzu kommt die « graue » Literatur der nur unter den Pastoren verbreiteten Korresponzen, die auf kirchlicher Ebene eine bedeutende Rolle spielten.

In ihrem thematischen Reichtum und ihrer publizistischen Vielfalt hat diese Presse eine Bedeutung, die weit über den minderheitlichen Status des französischen Protestantismus hinausgeht.

Die Zeitschriften für die Führungskräfte

In den durch das napoleonische Konkordat und dessen Organische Artikel (1802) miteinander verbundenen protestantischen (reformierten und lutherischen) Einrichtungen übernahmen bis zum Ende der II. Republik (1852) Pastoren und einflußreiche Steuer- und Wahlbürger gemeinsam die Führung. Nur diese beiden Gesellschaftskreise wurden zunächst von der « Presse » angesprochen.

In der Tat handelte es sich hierbei anfänglich um kleinformatige Monats- oder Zweimonatsschriften, von denen die erste unter dem Titel Archives du Christianisme [Archiv des Christentums] erschien. Sie wurde 1818 in Paris von dem Pastor Juillerat-Chasseur im Geiste theologischer und internationaler Öffnung gegründet und bestand bis 1868. Ihrer Redaktion gehörten Anhänger der « Erweckung » und Liberale wie Charles Coquerel an.

Coquerel hatte 1819 die Annales protestantes [Protestantische Jahrbücher] gegründet, die es jedoch zu keiner nennenswerten Verbreitung gebracht hatten. Er ging daher zu den Archives du Christianisme, deren Chefredakteur er von 1821 bis 1823 war. Sein Nachfolger war der Pastor Frédéric Monod, der das Blatt stärker auf die « Erweckung » ausrichtete. Schon bald erschienen jedoch auch außerhalb von Paris protestantische Zeitschriften : Samuel Vincent gab zwischen 1820 und 1824 in Nîmes die Mélanges de Religion, de Morale et de Critique sacrée [Vermischte Schriften zur Religion, Moral und geistlichen Kritik (10 Bände)] heraus. Charles Coquerel gründete daraufhin seine Revue protestante [Protestantische Zeitschrift (Paris, 1825-1828 und 1830)], die von der Zeitschrift Religion et Christianisme [Religion und Christentum, herausgegeben von Samuel Vincent und Ferdinand Fontanès, Nîmes, Januar 1830 bis August 1831 (4 Bände)] abgelöst wurde. Wenn man vom Courrier du Bas-Rhin [Oberrheinischer Kurier, 1815-1870] absieht, der sich zwar an das protestantische Bürgertum im Elsaß richtete, aber keine konfessionellen Bezüge aufweist, sind außerdem die deutschsprachigen Christlichen Mitteilungen des lutherischen Pastors Krafft [Straßburg, 1821-1826] zu nennen.

Wegen ihres begrenzten Umfangs, ihrer Erscheinungsweise und der Zusammensetzung ihrer Leserschaft enthalten diese Blätter kaum aktuelle Mitteilungen, sondern in der Regel (mitunter sehr lange) Meinungsartikel, Diskussionsbeiträge und Lesehinweise, die auf die Fortbildung der Pastoren besonders in Hinblick auf die Entwicklung der deutschen und schweizerischen Theologie einen starken Einfluß ausübten.

Die bereits während der Restauration (1814-1830) zu bemerkende kulturelle Auseinanderentwicklung zwischen den protestantischen Kreisen von Nîmes und Paris sowie jene zwischen den Anhängern der religiösen « Erweckung » und des Liberalismus verstärkte sich während der Juli-Monarchie (1830-1848). Die « Erweckung » rief neben den Archives du Christianisme die Zeitschrift Le Semeur [Der Sämann, 1831-1850] ins Leben, die sich noch stärker an die Führungskräfte und die gelehrten Kreise dieser Strömung wandte und über lange Zeit von Henri Lutteroth geleitet wurde. Die Liberalen gaben den Disciple de Jésus-Christ [Jünger von Jesus-Christus, 1839-1873] unter der Leitung von Joseph Martin-Paschoud heraus. Die liberale Presse war besser auf die kirchliche Geographie abgestimmt und erschien sowohl in Paris als auch in Nîmes : Le Protestant [Der Protestant, herausgegeben von Charles Coquerel, Paris (August 1831 bis Dezember 1833)], Le libre examen [Die freie Prüfung, herausgegeben von Athanase Coquerel, Paris (Januar 1834 bis Dezember 1836)], L’Évangéliste [Der Evangelist, herausgegeben von Ferdinand Fontanès, Valence und Nîmes (Januar 1837 bis Dezember 1840)]. Die wahren Neuerungen liegen jedoch auf anderem Gebiet : die Blätter erschienen nun wöchentlich oder zweimal in der Woche und wurden im Großformat zweispaltig auf 4 bis 8 Seiten gedruckt ; außerdem enthielten sie einen Leitartikel und informierten über religiöse Tagesereignisse. Die französische reformierte Presse glich sich damit in ihrer äußeren Erscheinung den schweizerischen protestantischen Zeitschriften an [Le Protestant de Genève (Der Genfer Protestant), La Gazette évangélique, journal de la Suisse française (Die evangelische Gazette. Zeitung für die französische Schweiz)] und übernahm gleichzeitig die Publikationsform der in Frankreich erscheinenden lutherischen und deutschsprachigen Presse, besonders der Zeitung Protestantisches Kirchen- und Schulblatt (1834-1848), des Sprachrohrs des straßburger Kirchenvorstandes.

Man könnte also meinen, daß die Zeitung allmählich die Zeitschrift verdrängte. Das ist jedoch nicht unbedingt zutreffend, denn neben dem Semeur und dem Disciple de Jésus-Christ erschienen auch weiterhin Fachzeitschriften, darunter die Revue de théologie et de philosophie chrétienne oder « Revue de Strasbourg » [Zeitschrift für Theologie und Philosophie oder « Straßburger Zeitschrift », 1850-1857], deren führende Köpfe Edmond Scherer und Timothée Colani waren, oder die von Edmond de Pressensé (1824-1891) gegründete und bis zu seinem Tode geleitete Revue chrétienne [Christliche Zeitschrift, 1854-1926], der eine gewisse Nähe zur Revue des Deux-Mondes [Zeitschrift der Zwei Welten] anzusehen ist, die sich vor allem aber mit der Zeit zu einem protestantischen Gegenstück zum erzkatholischen Correspondant [Der Korrespondent] entwickelte. Diese Tendenz zur Spezialisierung wird auch in der 1874 in Montauban gegründeten Revue théologique [Theologische Zeitschrift] deutlich, die aus der seit 1863 erschienenen Beilage Supplément théologique der Revue chrétienne hervorging und ab 1891 den Titel Revue de théologie et des questions religieuses [Zeitschrift für Theologie und religiöse Fragen] führte ; sie war sozusagen das offizielle Organ der (reformierten) Theologischen Fakultät von Montauban. Einer Spezialisierung auf den historischen Bereich hat sich das seit 1852 (bis heute) erscheinde Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme Français [Mitteilungsblatt der Historischen Gesellschaft des französischen Protestantismus] verschrieben.

Die protestantische Publikumspresse

Während der Juli-Monarchie (1830-1848) wurde das Nebeneinander von pariser Zeitschriften und deren Nachahmern aus der Provinz durch das Aufkommen einer landesweiten protestantischen Publikumspresse eingeebnet. Diese verdankte ihr Entstehen einem allgemeinen Bedürfnis religiöser Wiederbelebung, das sich zunächst in der ab 1838 erscheinenden Zeitung L’Espérance [Die Hoffnung] widerspiegelte und in den Jahren 1842 bis 1870 zur Verankerung eines « nationalen » (und nicht mehr separatistischen) reformierten Evangelismus führte. Erst 1841 fand dieses gleichermaßen zukunftsorienterte wie außenseiterische Blatt sein liberales Gegenstück : Le Lien [Das Band]. Damit war einer konfessionellen Publikumspresse der Weg bereitet. Über die Jahre änderte sie ständig ihre Erscheinungsform, bis sie schließlich als vierseitiges Kleinformat vorlag ; der Text ist vier- bis fünfspaltig gesetzt und hat ein « Erdgeschoß » (Beiträge in Fortsetzungen, kleine Geschichten oder Sinnstücke) und thematische Einzelrubriken. Die Seite 3 ist für Nachrichten aus dem Ausland reserviert. Außerdem werden Buchbesprechungen, Nachrufe und Auszüge aus Rechenschaftsberichten religiöser Versammlungen abgedruckt und von nun an auch gewerbliche Anzeigen aufgenommen (was aus praktischen Gesichtspunkten sicher sinnvoll ist, aber nicht unbedingt zur Erbauung beiträgt).

Die inhaltliche Nähe dieser Blätter zur politischen Presse jener Jahre veranlaßte 1846 den Pastor Philippe Boucher, einen ehemaligen Methodisten, zur Gründung der Zeitung La Voix nouvelle [Die neue Stimme], die eine politische (und nicht mehr nur rein konfessionelle) Ausrichtung erhielt und damit eine protestantische Sicht auf das politische Tagesgeschehen ermöglichen sollte. Dieser Vorläufer der heutigen Réforme verschwand jedoch schon 1847 wieder aus der Presselandschaft, da er durch seinen kommunitaristischen Anspruch seiner Zeit zu weit voraus war und daher nicht genug Leser gefunden hatte. Dagegen hatte die Zeitung Le Signal [Das Signal, 1879-1894], die von dem zum Protestantismus konvertierten Eugène Réveillaud gegründet und geleitet wurde, damit Erfolg, allgemeine Informationen und konfessionellen Aktivismus miteinander zu verbinden, wobei dem Herausgeber zunächst der republikanische Aufschwung und dann die beginnende anti-protestantische Stimmung im Lande zugute kamen.

Bis in die Jahre um 1870 beherrschte das Dreigespann aus Archives du Christianisme (später : L’Église libre [Die Freie Kirche], 1869-1928), L’Espérance (später : Le Christianisme au XIXe siècle [Das Christentum im 19. Jahrhundert]) und Le Lien (später : La Renaissance [Die Wiedergeburt], 1871-1885) die protestantische Presselandschaft ; die letztgenannte Zeitung änderte ihren Namen in Le Protestant (Der Protestant, 1885-1901) und stellte sich an die Seite des Journal du protestantisme français (Zeitung des französischen Protestantismus), in dessen Redaktion es zuweilen drunter und drüber ging. Obwohl diesen Publikationen ohne Zweifel die Meinungsführerschaft zufiel, nahmen sie jedoch keine Monopolstellung innerhalb des französischen Protestantismus ein, in dem die verschiedensten Strömungen zusammenliefen. Die Lutheraner hatten mit Le Témoignage (Das Zeugnis, 1865) zeitweilig ihr eigenes Organ, die Methodisten mit den Archives du méthodisme (1853-1857, später : L’Évangéliste, journal du méthodisme [Der Evangelist. Zeitung des Methodismus), 1858-1939], die Baptisten mit L’Écho de la vérité (Der Widerhall der Wahrheit), die Freien Evangelikalen mit L’Éclaireur (Der Aufklärer, 1890) ; dazu kamen während des II. Reiches (1852-1870) die reformierten Liberalen mit ihrer Zeitung Le protestant libéral (Der liberale Protestant, 1864-1870). Alle diese Blätter vermittelten eine unterschiedliche Sicht und zeugten von unterschiedlichen Verbindlichkeiten, indem sie entweder eine lediglich gruppenbezogene Haltung einnahmen oder aber klare « politische » Ziele innerhalb der Kirche verfolgten. Auch waren zu dieser Zeit, in der die Grenzen zwischen Politik und Religion noch nicht klar gezogen waren, die editorischen Leitlinien gewisser Herausgeber durchaus widersprüchlich. Während der II. Republik (1848-1852) hatte etwa Athanase Coquerel sen. an republikanischen Zeitungen mitgewirkt, während Jules Steeg am Vorabend der III. Republik (1870-1899) eine politische Zeitung in Libourne (unweit von Bordeaux, dem provisorischen Regierungssitz) herausgab. Und was ist letztlich von der Revue germanique (Germanische Zeitschrift) oder Le Temps (Die Zeit) zu halten, die ein gewisser Auguste Netzer, der seine theologischen Studien an der straßburger Fakultät nach zwei Jahren ergebnislos abgebrochen hatte, herausgab, um seine Leserschaft mit den Errungenschaften des deutschen freiheitlichen Geistes vertraut zu machen ?

Die Mitteilungsblätter der Provinzen und Gemeinden

Heutzutage verfolgt man das protestantische Tagesgeschehen in der Regel innerhalb seiner Gemeinde oder seines Kirchenbezirks, die ihre eigenen, meist monatlich oder zweimonatlich erscheinenden Mitteilungsblätter oder Zeitschriften herausgeben, denen anzusehen ist, daß sie oft mit eher bescheidenen Mitteln hergestellt wurden. Das war im 19. Jahrhundert noch anders. Zu dieser Zeit stellte die religiöse Lokalpresse eine dynamische Kraft dar. Nîmes oder Straßburg waren keine « Provinzstädte » des protestantischen Frankreichs. In Marennes gab Pastor Cambon ab 1839 seinen Catholique apostolique et non romain [Der apostolische aber nicht römische Katholik] heraus, der am Anfang einer protestantischen Regionalpresse steht. Es folgten Le Réveil, journal de la vie chrétienne [Der Weckruf, Zeitung des christlichen Lebens, in Bédarieux herausgegeben von Pastor Massé, 1842-1849], L’écho de la Réforme [Der Widerhall der Reformation, in Montpellier herausgegeben von Pastor Grawitz, 1842-1848], La Sentinelle [Der Wächter, in Valence herausgegeben von Pastor Meynadier, 1844-1851], L’Observateur évangélique de l’Ouest [Der westfranzösische evangelische Beobachter, Poitiers, 1847]. Diese Blätter sind von der theologischen Ausrichtung ihrer (oft im Alleingang arbeitenden) Herausgeber beeinflußt und öffneten sich weniger dem Meinungsstreit als der religiösen Erbauung und der regionalen Berichterstattung. Sie stellen damit eine unersetzliche, wenn auch heute meist nur unzureichend gewürdigte Quelle zum Studium der Geschichte und der geistlichen Verfassung der Kichengemeinden und -regionen dar. Sie erschienen im Großformat mit 8 zweispaltigen Seiten und trugen zur Wiederbelebung eines « provinziellen Protestantismus » bei, der sich von der Bevormundung durch die Metropolen und die professionellen und den Führern der politischen Parteien nahestehenden « Journalistenpastoren » befreien wollte.

Die autoritäre Regierung des II. Reiches (1852-1870) stellte sich dieser « provinziellen Wiederbelebung » jedoch entgegen, da sie zwar spät kam, aber mit außerordentlicher Entschlossenheit auf der Forderung nach einer – zumindest offiziösen – institutionellen Reorganisation der evangelischen Synoden (im Rahmen der Konkordatsverfassung) beharrte. Die Presseorgane der Synodalbezirke, der Konsistorialkirchen und sogar der Ortsgemeinden vereinigten sich (ohne sich Konkurrenz zu machen) in der Absicht, die « Versprengten » und die Ortswechsler neu an die Kirche zu binden oder sie in ihr zu halten.

Zielgruppenpresse und Erbauungsblätter

Neben diesen verhältnismäßig leicht zu erfassenden Zeitschriften und Zeitungen hat der Protestantismus eine weitere Presselandschaft hervorgebracht, die nur schwer zu ordnen ist. Es handelt sich um verschiedenartigste Vorstöße auf eng umrissene Bereiche, die sich dennoch in zwei große Gruppen gliedern lassen. Alle nachstehend aufgeführten Titel existierten noch am Ende des 19. Jahrhunderts.

Eine eigenständige Presse der Stiftungen, die sich von den Protokollen der Jahresversammlungen abhebt.

Zu dieser Kategorie gehört das 1826 gegründete Journal des Missions évangéliques [Mitteilungsblatt der evangelischen Missionen] der Maison des Missions évangéliques [Evangelisches Missionshaus] in Paris, das ab 1844 durch den Petit messager des Missions [Kleiner Missionsbote] ergänzt wurde. In ähnlicher Ausrichtung erschien später im Departement Gard (1870) La Chambre haute, « organe mensuel du Réveil, des réunions de prières » [Das Hohe Haus, « Monatsschrift der Erweckung und der Gebetsversammlungen »]. Diese Zeitschrift war nicht nur ein protestantisches Volksblatt, sondern vor allem das Sprachrohr der seit 1846 bestehenden Alliance évangélique [Evangelischer Bund]. Sie zog 1890 (diesmal in der Charente) die Gründung des Étendard évangélique [Evangelische Standarte] nach sich, der sich vor allem der Auseinandersetzung mit den Katholiken stellte. Ein derartiger Kampfgeist, gepaart mit dem Willen zur Aktion, ist auch für La Mission intérieure [Die Innere Mission, Marseille, 1871] kennzeichnend, ein Blatt das sich, wie schon der Name andeutet, dem erst kurz zuvor in Frankreich nach dem deutschen Vorbild eingeführten Evangelisierungswerk widmete. Wie schon im vorangegangenen Fall kam es auch hier zum Erscheinen eines Parallelblattes, dem Relèvement [Aufschwung, Marseille 1888], eine preiswerte Zeitung in handlichem Format und einer Auflage von 14.000 Exemplaren. Ihr liberales Gegenstück war Le Foyer protestant [Das protestantische Heim, Nîmes, ab 1886]. Die Revue de théologie pratique et d’études sociales [Zeitschrift für praktische Theologie und gesellschaftliche Studien, 1887 von Gédéon Chastand gegründet und kurz darauf in Revue du christianisme pratique (Zeitschrift für praktisches Christentum) umbenannt] stand dem sozialen Christentum nahe und wirkte trotz ihrer unbestreitbaren Eigenständigkeit an der starken evangelikalen Strömung mit, deren christliche Zielvorstellungen sie fast immer teilte. In diesem Zusammenhang ist auch der 1874 in Paris gegründete L’Ami de la Maison [Der Hausfreund] zu nennen, der sich in den Dienst der Erbauung stellte und später in gewisser Weise zum Hausorgan der Blaukreuzler (Bewegung zur Eindämmung des Alkoholmißbrauchs) wurde.

Die erbauliche Zielgruppenpresse :

Der erste Vertreter dieses Zweiges der protestantischen Presse entstand zur Zeit der « Erweckung » : L’Ami de la jeunesse [Der Jugendfreund, Paris, 1825] war ein sogenanntes « Pausenblatt » und wandte sich an einen genau umrissenen Leserkreis. Diese schlaue editorische Idee fand ihre Nachahmer im Magasin des Écoles du dimanche [Magazin der Sonntagsschulen, Paris, 1851], das 1888 von dem Journal des Écoles du dimanche [Sonntagsschulzeitung] abgelöst wurde. Ähnlich ausgerichtet waren das in Nîmes erscheinende Feuille de l’École du dimanche [Sonntagsschulblatt] und der ab 1858 in Paris und Vandœuvre von lutherischen Pastoren herausgegebene L’Ami chrétien des familles [Der christliche Hausfreund], der sich nach 1892 zum wichtigsten protestantischen Volksblatt entwickelte. Aus der Frauenbewegung kam La Femme [Die Frau, Paris, 1878], deren Redaktion mehrere Große Damen des Protestantismus vereinte (Sabatier, Siegfried, Decoppet, Puaux, Seignobos). Weiterhin sind in diesem Zusammenhang zu nennen : Les causeries morales et religieuses [Moralische und religiöse Gespräche, Montauban, 1885], La Jeunesse [Die Jugend, Marseille, 1888] und La Fraternité [Die Brüderlichkeit, Paris, 1892], deren Chefredakteur über lange Zeit Eugène Réveillaud war.

Die vertraulichen Pastoralkorrespondenzen

Die zunehmende theologische Spaltung unter den Pastoren und die vor 1872 (und sogar in offiziösem Rahmen vor 1879) bestehende Unmöglichkeit einer Wiedereinsetzung der Synoden sowie der begrenzte Zugang zu den lokalen und regionalen Pastorenkonferenzen haben zur internen Verbreitung von hochinteressanten Verbindungs- und Mitteilungsschriften geführt. Die erste dieser Art war die Correspondance Frontin [Frontin-Korrespondenz], die in Dijon von dem evangelischen Pastor Frontin bis 1843 vertrieben wurde. Nach einer langen Pause nahm Benjamin Vaurigaud in Nantes diese Tradition mit seiner Correspondance évangélique [Evangelische Korrespondenz, 1861-1870] wieder auf, die in den Jahren 1876 bis 1877 vom Pastor Monbrun kurzzeitig weitergeführt wurde.

Die Liberalen entdeckten die Vorzüge dieser Publikationsform erst etwas später. Aus ihren Kreisen erschien ab 1839 die Correspondance fraternelle [Brüderliche Korrespondenz], die allgemein Correspondance Fontanès [Fontanès-Korrespondenz] genannt wurde, in Anspielung auf den Pastor aus Nîmes, dem – im damaligen Sprachgebrauch – « zentralen Korrespondenten » dieser Schrift, die bis Anfang 1848 verschickt wurde. In ihrer direkten Nachfolge stand möglicherweise die ab 1852 im Südwesten Frankreichs verfaßte Correspondance Cruvellié [Cruvellié-Korrespondenz], mit Gewißheit aber die Correspondance Montandon [Montandon-Korrespondenz, Paris, 1853-1855]. Es sei hier darauf hingewiesen, daß gegenwärtig keine französische Bibliothek eine lückenlose Sammlung dieser drei Korrespondenzen besitzt ; im Interesse der Forschung rufen wir dazu auf, den Bestand der Protestantischen Zentralbibliothek bei der Société de l’Histoire du Protestantisme Français durch bisher nicht archivierte Nummern zu vervollständigen oder ihr deren Existenz mitzuteilen. Daneben wurde von 1885 bis 1935 eine Correspondance fraternelle des pasteurs libéraux [Brüderliche Korrespondenz der liberalen Pastoren] vertrieben, die weniger polemisch war und eine tatsächliche Verbindung unter ihnen herstellte.

Schließlich soll die Correspondance der Pastoren der evangelischen Freikirche nicht unerwähnt bleiben, die zahlreiche « zentrale Korrespondenten » hatte und von 1847 bis 1869 verschickt wurde.

Diese Korrespondenzen wurden auf sehr feinem Durchschlagpapier angefertigt und manchmal sogar mit der Hand geschrieben, was ihre Lesbarkeit zuweilen erschwert ; andere erschienen im Drucksatz in der Form von Mitteilungsblättern. Diese Korrespondenzen hatten keine klar abgegrenzten Rubriken sondern wurden in Erwiderung auf erhaltene Zuschriften verfaßt, die von dem zentralen Korrespondenten in Form gebracht wurden. Ihr Umgangston war offener als derjenige der landesweiten oder regionalen Publikumspresse und auch eindeutiger, da sie sich an einen Personenkreis wandten, die selben theologischen Ansichten vertraten. Daher sind sie für den Historiker heute von sehr großem Nutzen.

Dazugehörige Vermerke