Das Erziehungsprogramm der Reformation
Das Erziehungsprogramm der Reformation beruht auf der Lektüre der Bibel, die den Glauben stärken und die Überprüfung von Glaubensartikeln ermöglichen soll. Dieses Programm erklärt sich aus der Lehre vom Allgemeinen Priesteramt : jeder Christ soll unter alleiniger Berufung auf die Bibel nach Kräften die Wahrheit des Evangeliums verkünden.
Luther stellt die Berufung zum Schullehrer mit dem Priesteramt auf eine Stufe : „Wenn es Gott gefiele, mich meiner Aufgaben als Pastor zu entheben, gäbe es für mich auf Erden keine Aufgabe, die ich lieber erfüllen würde als diejenige eines Schulmeisters, denn nach dem Amt des Pastors gibt es kein schöneres Amt als das seine“.
Das Schulwesen
Im Zuge der Reformation wird das aus dem Mittelalter überkommene Schulwesen, das meist eng mit den Pfarrkirchen und Klöstern verbunden war, grundlegend umgestaltet.
In den zur Reformation übergetretenen Ländern übertragen Martin Luther und Philipp Melanchthon die Verantwortung für das Schulwesen der politischen Obrigkeit : den Fürsten und den Magistraten.
Die Reformation legt den Grundstein für ein allgemeines Recht auf Wissen und Bildung. Das gilt auch für die Mädchen. 1530 wird in Wittenberg eine Mädchenschule eröffnet.
Auch in Genf wird der Erziehung großes Gewicht beigemessen. Jungen und Mädchen erhalten öffentlichen und vor allem kostenlosen Grundschulunterricht.
Melanchthon als Erzieher
In Deutschland kümmert sich besonders Melanchthon um eine Reform des Schulwesens. Schon zu seinen Lebzeiten erhält er daher den Ehrennamen Praeceptor Germaniae („Lehrer Deutschlands“). Seine Schulreform erfolgt gleichermaßen im Geiste des Humanismus und der Reformation. Bildung ist laut Melanchthon für jeden Menschen die Voraussetzung, ein nützliches Glied der Gesellschaft zu werden und die biblische Botschaft in sich aufzunehmen. Melanchthon tritt für die Allgemeine Schulpflicht ein.
Er gestaltet die Städtischen Schulen (auch Lateinschulen genannt, da dort Latein gelehrt und oft in lateinischer Sprache unterrichtet wird) um, indem er dort drei Schulklassen einführt. Zusätzlich begründet er die Oberschule als Stufe zwischen der Lateinschule und der Universität. An der Oberschule wird Rhetorik (Redekunst) und Dialektik (Kunst der Überzeugung in Rede und Gegenrede) sowie lateinische Literatur, Mathematik und Griechisch gelehrt.
Melanchthon verfaßte auch zahlreiche Schulbücher, von denen viele noch im 18. Jahrhundert benutzt wurden. Das trifft vor allem auf seine griechische und seine lateinische Grammatik zu, die auch in katholischen Schulen verbreitet waren.
Seine Lehrpläne und Schulbücher wurden von den meisten protestantischen Schulen in Deutschland und in anderen Ländern übernommen.
Das erste
In Straßburg erneuert der Reformator Martin Butzer das Schulwesen. 1538 trägt er dort zur Gründung des ersten „Gymnasiums“ bei. Sein Gründungsdirektor ist Jean Sturm, der aus seiner Anstalt ein berühmtes Bildungszentrum macht.
Für die Erziehung zum christlichen Glauben verfaßt Butzer zwei Katechismen.
Die Genfer Akademie
Seit dem Übertritt Genfs zur Reformation gilt dort die Schulpflicht. Jungen und Mädchen erhalten öffentlichen und kostenlosen Grundschulunterricht.
Auch Calvin liegt die religiöse Erziehung am Herzen. Er verfaßt einen Katechismus, der über ein Jahrhundert lang in Genf und in Frankreich in Gebrauch bleibt.
1559 gründet Calvin die Genfer Akademie, der eine große Zahl französischer Pastoren des 16. und 17. Jahrhunderts ihre Ausbildung verdanken. Ihr Gründungsdirektor ist der französische Humanist Théodore de Bèze (oder Beza), dessen Wirken zu der internationalen Ausstrahlung dieser Anstalt beiträgt.
Die Verpflichtung zur Erziehung
Für die Reformatoren ist zu allererst die Familie zur Erziehung der Kinder verpflichtet. Luther, Melanchthon, Zwingli, Calvin und Farel betonen die herausragende Bedeutung der familiären Erziehung für die Zukunft der Kirche und der gesamten Gesellschaft.
Die Eltern haben die Verantwortung dafür, daß aus ihren Kindern allseits gebildete Christen werden.
Die häusliche Erziehung wird durch die schulische Ausbildung ergänzt. In seinen Predigten erinnert Luther stets die Eltern an ihre Pflicht, ihre Kinder zur Schule zu schicken.
Der protestantische Unterricht in Frankreich
Der Unterricht im Lesen und Schreiben begleitet die Verbreitung der reformatorischen Glaubenslehre. Diese Fähigkeiten gehen schnell von den gebildeten Schichten (Geistliche, Magistrate, Studenten, Buchdrucker…) und den oft durch ihre Berufstätigkeit fast zwangsläufig alphabetisierten Kreise der Handwerker und Kaufleute bis auf die einfachen Bauern über. Die Konsistorien stellen Lehrer oder Schulmeister ein, die sowohl Jungen als auch Mädchen unterrichten. In den kleinen Gemeinden unterrichtet der Pastor selbst.
Die Kenntnis im Lesen und Schreiben verleiht den französischen Protestanten einen kulturellen Vorsprung vor den Katholiken, der noch während der folgenden Jahrhunderte anhält : in den protestantischen Schulen wird überall in Frankreich in hochfranzösischer Sprache (und nicht in den jeweiligen Regionalsprachen wie Bretonisch oder Baskisch, Okzitanisch oder Provenzalisch) unterrichtet.