Die Protestanten
und die Verfolgung der Juden

Der Widerstand der Protestanten gegen die antisemitischen Gesetze

Bereits ab Herbst 1940 ist der Bruch der Protestanten mit dem Vichy-Regime klar. Ausgelöst wird er vor allem durch die antisemitischen Gesetze von Oktober 1940, in denen die Rechtsstellung der Juden festgelegt wird, und im März 1941 wird er offiziell vollzogen. Im Namen der Reformierten Kirche Frankreichs richtet Marc Boegner ein Solidaritätsschreiben an Großrabbiner Isaïe Schwartz (26. März 1941), das in der ultrakollaborationistischen Zeitung Au pilori eine unerwartete Verbreitung findet. Diese Zeitung veröffentlicht das Schreiben unter der Überschrift „Ein nicht hinnehmbares Schreiben des Oberhaupts der Protestanten Frankreichs“ („une lettre inadmissible du chef des protestants de France“). Marc Boegner schickt ein offizielles Protestschreiben an Admiral Darlan, den Vizepräsidenten des Ministerrats (23. August 1941), und dieser teilt ihm in seiner Antwort mit, es sei ein noch schärferes Gesetz in Vorbereitung. Diese erste öffentliche Erklärung einer christlichen Kirche gegen die Judenverfolgung, die erste Bekundung einer Missbilligung des Regimes, findet in der Südzone Frankreichs weite Verbreitung und übt in der Folgezeit einen starken Einfluss auf das Verhalten der Protestanten aus. Dies umso mehr, als entgegen einer lang gehegten Vorstellung diese Politik vom Regime in Vichy selbst ausging und nicht von den Siegern diktiert wurde.

Der von einer Gruppe von Persönlichkeiten (darunter René Courtin, Roland de Pury, Georges Casalis, Suzanne de Dietrich, Madeleine Barot, Willem Visser’t Hooft) abgefasste Text der „Thesen von Pomeyrol“ (« thèses de Pomeyrol ») (September 1941) geht noch weiter und erklärt, die protestantische Kirche müsse „jeglichem totalitären und idolatrischen Einfluss“ („toute influence totalitaire et idolâtre“) Widerstand leisten.

Die Reformierte Kirche protestiert gegen die Deportationen

Lager von Gurs, in dem 12.000 Juden interniert wurden © Cimade

Als die Regierung von Pierre Laval nach den großen Razzien des „Vel d’Hiv“ im Juli 1942 im August 1942 die Deportierung aller festgenommenen französischen und ausländischen Juden organisiert, protestiert Marc Boegner mit einem an Marschall Pétain gerichteten Schreiben vom 20. August 1942 offiziell gegen die Deportation der Juden. Am 22. September 1942 richtet der Nationalrat der ERF ein Schreiben an die Pfarrer, das am 4. Oktober in allen Gemeinden von der Kanzel verlesen werden soll und in dem unter anderem erklärt wird : „Die ERF kann nicht schweigen angesichts des Leidens Tausender Menschen, die auf unserem Boden Asyl fanden (…). Das Evangelium befielt uns, alle Menschen ausnahmslos als Brüder zu betrachten (…). Die Kirche fühlt sich gezwungen, den Aufschrei des christlichen Gewissens hören zu lassen“ („l’ERF ne peut garder le silence devant les souffrances de milliers d’être qui reçurent asile sur notre sol (…). L’Évangile nous ordonne de considérer tous les hommes sans exception comme des frères (…) L’Église se sent contrainte de faire entendre  le cri de la conscience chrétienne »). Auf der jährlichen Versammlung im Musée du Désert am 6. September 1942 wird der Antisemitismus energisch verurteilt.

Von den Historikern wurden oft die Umstände hervorgehoben, die die protestantische und die jüdische Konfessionsgemeinschaft miteinander verbindet : sehr schematisch gesehen sind dies die Sensibilität aufgrund der Verfolgungen in der Vergangenheit, ein gewisser moralischer und intellektueller Elitismus, eine gemeinsame Kultur des Buches und der Schrift, eine Kollegialverfassung, die theologische Ablehnung jeglicher Form des Antisemitismus.

Der Einsatz für die Juden

Pfarrer Roland de Pury (1907-1979) © Fédération Protestante de France

Die Rolle der Cimade (Comité inter-mouvements auprès des évacués) ist entscheidend. Die Cimade kommt den von Vichy internierten Juden und Ausländern zu Hilfe, besorgt falsche Papiere und organisiert Netze zur Fluchhilfe nach Spanien oder in die Schweiz. In den Gegenden mit starker protestantischer Tradition mehren sich die Zonen, die Zuflucht bieten (Tarn, Cévennen, Drôme) und für die das Dorf Le Chambon-sur- Lignon im Vivarais beispielhaft steht.

Dabei ist auch auf die Übereinstimmung mit einem Teil der Katholiken hinzuweisen. Pfarrer Roland de Pury, der bereits im Juli 1940 in Lyon gegen die Resignation predigt, trifft häufig mit dem Jesuitenpater Pierre Chaillet zusammen und aus ihrem gemeinschaftlichen Handeln geht im November 1941 die erste Untergrundausgabe der „Cahiers du Témoignage chrétien“ hervor. Marc Boegner und Kardinal Gerlier, Erzbischof von Lyon, stellen sich gemeinsam gegen die Razzien im August 1942 in der Südzone.

Die offizielle israelische Gedenkstätte „Yad  Vashem“ hat zahlreiche Protestanten als „Gerechte unter den Nationen“ (Nicht-Juden, die Juden gerettet haben) ausgezeichnet, darunter die Pfarrer Marc Boegner, Roland de Pury, André Trocmé, sowie Laien wie Madeleine Barot, ohne die Gemeinde von Le Chambon- sur-Lignon zu vergessen.

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Die Thesen von Pomeyrol

Die Thesen von Pomeyrol sind einer der ersten Akte des geistigen Widerstands gegen den Nationalsozialismus und der Opposition gegen die Verfolgung der Juden.

Le Chambon-sur-Lignon

In dem Ort Le Chambon-sur-Lignon wurde eine große Anzahl von Opfern des Kriegs aufgenommen und gerettet. Sein Name steht für den Widerstand der Protestanten gegen Nationalsozialismus und Antisemitismus.

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