Die Protestanten
und die politische Macht

Aufgrund ihres theologischen und kulturellen Horizonts sind die Protestanten überzeugte Anhänger der demokratischen Ideen, die man vornehmlich in der republikanischen Regierungsform verkörpert sah. Dem liberalen System der Julimonarchie stehen sie positiv gegenüber und sie sind sehr aktiv in den Anfängen der Dritten Republik, einer Zeit, in der die Protestanten eine über ihren Anteil an der Bevölkerung hinausgehende Rolle spielen.

Gibt es eine spezifisch protestantische Art des politischen Engagements?

Félix Pécaut (1828-1898)
Félix Pécaut (1828-1898) © S.H.P.F.

Einer allgemein verbreiteten Überzeugung zufolge war die protestantische Minderheit mehrheitlich « republikanisch » eingestellt, und zwar aufgrund ihrer Theologie und ihrer kirchlichen Verfassung : freies Bibelstudium, allgemeines Priestertum, presbyteral-synodale Struktur, all dies würde die Protestanten ganz selbstverständlich dem demokratischen Gedankengut und der Republik zuführen. Michelet schrieb : « Was sehe ich im 16. Jahrhundert ? Dass nur der Protestantismus die Republik (…) bringt, und zwar den Gedanken, die Sache und das Wort.“ (Que vois-je au XVIe siècle ? Que le protestantisme seul nous donne la République (…), l’idée et la chose et le mot).

Einer anderen gängigen Meinung zufolge steht die protestantische Minderheit politisch links. Es stimmt, dass die Regierungsform und die so genannte « religiöse Frage » zu den großen politischen Problemen des 19. Jahrhunderts gehörten. Die Linke entscheidet sich für die Trennung von Kirche und Staat, die ab 1879 mit der Republik einhergeht, während die Rechte sich damals auf eine doppelte Ablehnung versteift. Die Haltung der Protestanten wird beherrscht von der Furcht vor einer Einheit von Staat und Katholizismus, jenem „Bündnis von Thron und Altar“, unter dem die Protestanten so sehr zu leiden hatten. Daher entscheiden sie sich dezidiert für Antiklerikalismus und Trennung von Kirche und Staat, wobei sie diese nicht mit Religionsfeindlichkeit verwechseln, im Gegensatz zu der Einstellung vieler Antiklerikaler katholischer Herkunft.

Diese beiden Faktoren erklären, wenn auch sehr schematisch, die wechselnde Haltung, die die Protestanten den politischen Systemen gegenüber einnehmen : Gleichgültigkeit, Feindseligkeit, Zurückhaltung lösen einander ab. In den Anfängen der Dritten Republik kam es zu einer aktiven Beteiligung der Protestanten, und in dieser Zeit spielten die Protestanten eine Rolle auf nationaler Ebene, die in keinem Verhältnis zu ihrem zahlenmäßigen Gewicht stand. Mit der Verkündung der Trennung von Kirche und Staat kann ihre Wiedereingliederung als beendet angesehen werden.

Der gemeinsame Nenner all dieser Epochen ist jedoch eine reformistische Grundhaltung. Zwar hatten sich auch viele Protestanten in den verschiedenen revolutionären Episoden, die das Jahrhundert geprägt haben, engagiert, aber die große Mehrheit beteiligte sich nicht an ihren Exzessen : weder an der Schreckensherrschaft des Jahres 1793 noch an den Ereignissen der Kommune und deren Niederschlagung 1871 und auch später nicht an der kommunistischen Bewegung oder der extremen Rechten.

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