Hindernisse und Vorurteile
Bei den ersten Ordinationen in den dreißiger Jahren handelte es sich noch um Ausnahmefälle. Die grundsätzliche Frage stellt sich erst wirklich in den fünfziger Jahren, im Zuge der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung. In den Synoden wird sie lange Zeit vertagt, da sie noch nicht reif sei. In der Reformierten Kirche Frankreichs beginnt die Debatte schließlich 1964 und findet zwei Jahre später eine Lösung, mit der anerkannt wird, „dass Frauen genauso wie Männer zur Ausübung eines Amtes in der Kirche berufen werden können“ („que les femmes peuvent être appelées, au même titre que les hommes, à exercer un ministère dans l’Église“).
Man zögert jedoch, die Verpflichtung zur Ehelosigkeit aufzuheben – was würden sie tun, wenn sie Kinder hätten ? Es wird befürchtet, dass die Zulassung der Frauen dazu führt, dass sich die Männer von der pastoralen Berufung abwenden ; man befürchtet auch, dass dies ein Hindernis beim ökumenischen Dialog darstellen könnte, dass sie der Aufgabe nicht gewachsen wären.
Vollwertige Pfarrer
Die Zölibatsklausel wird 1968 in der ERAL und 1970 in der ECAAL gestrichen. In den beiden Kirchen von Elsass-Moselle werden mit einem Dekret vom 6. April 1970 Frauen „unter den gleichen Bedingungen wie die Kandidaten zu den pastoralen Funktionen“ („aux fonctions pastorales dans les mêmes conditions que les candidats“) zugelassen, aber, so heißt es weiter, sie „sind vorzugsweise Gemeinden zuzuteilen, in denen es zwei oder mehr Pfarrstellen gibt“ („seront affectées de préférence à des paroisses pourvues de deux ou plusieurs postes de pasteurs“). Mit Anbruch einer Zeit nachlassenden Kirchenbesuchs gibt es jedoch immer weniger Gemeinden, in denen mehrere Pfarrer gebraucht werden, und die Pfarrerinnen versehen den Pfarrdienst in der Gemeinde meistens allein.
Die Frauen, die in den Fakultäten und durch Praktika eine gute Ausbildung erhalten haben, gewinnen an Selbstsicherheit. Probleme kommen meistens von den Presbyterien : die Vorurteile halten sich hartnäckig, man hört immer wieder das alte Lied von der Autorität – aber bei den Gemeinden ist die Aufnahme oft sehr positiv. Es braucht Zeit, bis Frauen ohne Ansehen des Geschlechts im Pfarrdienst akzeptiert werden. Wie in allen Berufen ist es für sie auch hier schwieriger als für einen Mann, sich durchzusetzen, und sie werden strenger beurteilt.
Das Ende des Jahrhunderts
Es handelt sich um die dritte Pfarrerinnengeneration. Für 2000 lauten die Zahlen wie folgt :
- Kirche des Augsburger Bekenntnisses von Elsass und Lothringen (ECAAL) : von 230 Pfarrern im Dienst sind 52 Frauen (22,61 %). 38 sind verheiratet, 11 davon mit einem Pfarrer.
- Reformierte Kirche von Elsass und Lothringen (ERAL) : von 51 Pfarrern im Dienst sind 15 Frauen (29,41 %). 11 sind verheiratet, 5 davon mit einem Pfarrer und 2 mit Theologieprofessoren.
- Evangelisch-lutherische Kirche Frankreichs (EELF) : von 58 Pfarrern im Dienst sind 18 Frauen (31,03 %). 2 sind ledig, 16 verheiratet, 7 davon mit einem Pfarrer.
- Reformierte Kirche Frankreichs (ERF) : von 489 Pfarrern im Dienst sind 106 Frauen (21,67 %). 32 sind ledig, 74 verheiratet, 30 davon mit einem Pfarrer.
- Freie Fakultäten für Theologie (seit 1972 IPT). Die Fakultät in Paris, 1960 : 84 Studenten, darunter 8 Frauen (9,52 %). 2000 : 136 Studenten, darunter 54 Frauen (39,70 %).
- Die Fakultät in Montpellier, 1960 : 64 Studenten, darunter 5 Frauen (8 %). 2000 : 209 Studenten, darunter 95 Frauen (45,5 %).
- Universität Marc Bloch/Straßburg. 1960 : 121 Studenten, darunter 9 Frauen (7,43 %). 2000 : 218 Studenten, darunter 82 Frauen (37,61 %).
Die Pfarrerinnen
Meistens sind sie verheiratet. Häufig lernen sich die Partner an der theologischen Fakultät kennen, und für die Kirchen stellt sich dann das schwierige Problem, Stellen für die Pfarrerehepaare zu finden ; sie haben Kinder zu versorgen, wodurch ihr tägliches Leben komplizierter wird. So erklärt sich, dass sie etwas weniger als ihre männlichen Kollegen an Kommissionen teilnehmen. Sie sind zu allen Posten zugelassen, zu den Fakultäten, den Seelsorgediensten (bis hin zur Armee), Pfarrstellen mit Spezialaufträgen ; die Übertragung von Verantwortung in wichtigen Kirchenämtern lässt länger auf sich warten, trotz des Beispiels von Thérèse Klipfel, der es als Kirchenpräsidentin (ERAL) 1982 zukam, den Papst in Straßburg zu empfangen.
Als Beispiel sei hier Elisabeth Parmentier erwähnt. Sie ist Pfarrerin der ECAAL, Theologin, Lehrbeauftragte an der Fakultät in Straßburg, Präsidentin der Leuenberger Kirchengemeinschaft, verheiratet und Mutter.
Was haben sie verändert ?
In einer Christenheit, die von Anfang an vom männlichen Element beherrscht wurde, bringen die Pfarrerinnen in die Ausübung des Pfarramts eine genuin weibliche Sensibilität ein, die einer aktuellen Tendenz unserer Gesellschaft entgegenkommt. Die Veröffentlichungen einiger Theologinnen tragen dazu bei, die Liturgien in diesem Sinn zu verändern.
Die Präsenz von Frauen in der Pfarrerschaft hat das Phänomen der Säkularisierung beschleunigt, und dieses hat sich gegen Ende des Jahrhunderts noch verstärkt. Die Gemeindemitglieder finden zu ihnen leichter Zugang als zu Männern, sie werden mehr um ihrer selbst willen geachtet als des Talars – den sie nicht immer tragen – und der Funktion wegen.
Die anderen protestantischen Kirchen
In den der evangelikalen Strömung zugehörigen Kirchen, die Mitglieder der Fédération Protestante de France sind, ist die Frage der Zulassung der Frauen zum Pfarramt entweder bereits gestellt – bei den Baptisten – oder sie wird noch hinausgeschoben oder gar energisch zurückgewiesen, wie in den Kirchen pfingstlerischer Prägung. Die FEEB (Fédération des Églises Évangéliques Baptistes – Bund der Evangelisch-Baptistischen Kirchen) ist gespalten : die kongregationalistische Struktur erlaubt den (so genannten mündigen) Gliedkirchen, Frauen als Amtsträger anzuerkennen ; auf jeder neuen Synode wird erneut darüber diskutiert, aber es wird noch keine Entscheidung gefällt, vielleicht weil man gewohnt ist, Autorität durch Männer vertreten zu sehen. Dabei gibt es an den evangelikalen Fakultäten zahlreiche Studentinnen.
Bei den Unabhängigen Evangelisch-Reformierten Kirchen wurde die Frage im allgemeinen Rahmen der Ordination der Pfarrer diskutiert : im März 2004 wurde dann Corinne Fines die erste Pfarrerin der EREI. Die pfingstlerischen Kirchen (Église de Dieu, Mission Évangélique Tzigane, Église apostolique…) verweisen auf die Schrift, um die Frage nicht zu stellen.
Mit einer Ausnahme : in einer baptistischen Kirche in Paris gab es von 1930 bis 1952 de facto eine Pfarrerin, Frau Madeleine Blocher-Saillens in der Eglise du Tabernacle (18. Bezirk), die die Arbeit ihre Mannes fortsetzte (die Kirche ist Mitglied der Alliance des Églises Évangéliques Baptistes Libres de France, die nicht der Fédération protestante de France angehört).
Die Zulassung der Frauen zu den geistlichen Ämtern, die von Skandinavien, Deutschland, der Schweiz ausging und dann in Frankreich in den lutherischen und reformierten Kirchen eingeführt wurde, wird sich sicherlich auch im erweiterten Europa bei den protestantischen Minderheiten, die sich auf die Reformation berufen, durchsetzen. Die Zukunft wird zeigen, ob sich Baptisten und Pfingstler dazu durchringen, sich in dieser Frage der gesellschaftlichen Entwicklung anzuschließen.