Die eigene Identität behaupten
Mit dem napoleonischen Konkordat fand die protestantische Kirche wieder die Voraussetzungen, in Frankreich öffentlich zu wirken. Der ihr verordnete konsistoriale Aufbau, der der lutherischen Kirche vertraut war, entsprach nicht den im Exil lebendig gebliebenen Traditionen der reformierten Kirche. Genausowenig entsprach er der Vorstellung über ihren Auftrag. Sie wünschte keine Aktionen, die vom Staat zu streng überwacht würden.
Die Wiedergewinnung ihrer wahren Identität, der ihr eigenen Identität, neben der katholischen Kirche, neben dem Staat erfolgte zunächst mit Hilfe der protestantischen internationalen Gemeinschaft. Die Kirchen von Genf, England, Deutschland ließen ihr materielle Unterstützung zukommen. Besonders aber gaben sie Mittel zur theologischen oder eher dogmatischen „Erneuerung“. Nach und nach gewann sie ihre Aktionsfreiheit in vielfältigen, praktischen Bereichen.
Wenn es auch vernünftig schien, dass es nun mehr protestantische Staatsmänner gab – und es gab tatsächlich einige -, die eine auf den Grundprinzipien der protestantischen Erziehung gründende Handlungsfähigkeit in die Tat umsetzten, konnte es keine staatliche Bestimmung der kirchlichen Aufgaben geben. Deswegen bemühten sich die Protestanten im 19. Jahrhundert, allerhand Vereine und Gesellschaften aufzubauen. Die meisten wurden als gemeinnützig anerkannt, aber sie bestimmten frei und unabhängig ihre Interventionsweise. Nicht weniger als 236 Werke von lokaler und allgemeiner Bedeutung wurden eingerichtet. Das fing mit der Société biblique 1811 an, welche das Ziel verfolgte, den Anhängern der Kirche genügend Bibeln zu verschaffen, ging weiter mit der Gründung der Heime von John Bost, über die Einrichtungen für die Taubstummen, Altenheime, die Hilfswerke für Pfarrerswitwen, usw., bis hin zum „Verein der Pfarrer auf Rädern“, der die Evangelisierung in abgelegenen Landstrichen erleichtern wollte – alles Werke, die den unabhängigen und vielschichtigen Protestantismus in einem mehr oder weniger offenen Kontext sichtbar machten. Die Julimonarchie war dem Protestantismus eindeutig günstiger gesonnen als das Zweite Kaiserreich. Mit der Dritten Republik wurde alles leichter.
Viele im 19. Jahrhundert entstandene Werke haben sich im 20. Jahrhundert weiterentwickelt. Sie haben es verstanden, mit der Zeit zu gehen und sich den gegenwärtigen Bedürfnissen anzupassen.
Diese Werke ,die auf die Initiative von Protestanten zurückgehen,deren Namen uns heute noch sehr vertraut sind (Monod, Mallet, Vermeil, Hottinguer, Schlumberger, Boissonnas, Boegner, Odier, Bost u.a., Pfarrerfamilien und auch Bankiers, Wissenschaftler, Industrielle) gereichtem dem praktischen Christentum zur Ehre.
Was versteht man unter dem Begriff "Werk" in protestantischen Kreisen ?
„Vielleicht besser als andere spüren wir den Wert, den wir dem Prinzip des freien Zusammenschlusses zuerkennen müssen, der Kräfte vervielfältigt, indem er sie kombiniert. Das geliche gilt für die Berufsausbildung, die für die Arbeit der Hilfswerke nicht weniger notwenig ist als für jede andere Arbeit. Wir bedienen uns aller menschlichen Mittel, zu denen Klugheit und gesunder Menschenverstand uns raten. Doch müssen wir gestehen , dass wir ohne das Evangelium gegenüber dem Bösen in all seinen Formen ohnmächtig wären. In der Tat, welchen Trost hätten wir außer dem Evangelium den Kranken anzubieten,welchen Frieden dem Traurigen, welche Entschädigung dem Armen, welches Licht dem Verwirrten, wie könnten wir einen Gestürzten aufrichten, wie Kindern, die im Leben geleitet werden müssen, ein Beispiel sein, wie einen Greis verjüngen, der spürt, wie seine Kräfte nachlassen und ihm das Leben entschwindet ? Die von uns beabsichtigten Ergebnisse lassen sich nicht immer in dieser Welt ermessen.“
(Dictionnaire des Œuvres Protestantes, Seite 184, Artikel von S. Monod)
Welche Art von Werken ?
Außer den großen Kapiteln – Missionen, Versorgungswerke für Pfarrer, Hilfswerke, Sozialwerke, Bildungswerke – müssen wir festhalten ,dass manche Werke mit der Erweckungsbewegung zusammenhingen, während andere unter reformiertem oder auch liberalem Einfluss standen.Viele unter ihnen hatten angesichts der protestantischen konfessionellen Vielfalt eine oekumenische Bestimmung.