Der Protestantismus in der Bretagne

Der Protestantismus betrifft vor allem den katholischen Adel im 16. Jahrhundert, aber außer in Nantes überlebt er die Aufhebung des Edikts von Nantes nicht. Im 19. Jahrhundert lebt er dank einer starken, von den britischen Inseln herkommenden Evangelisierung wieder auf.

Der Einzug der Reformation in die Bretagne (16. Jahrhundert)

Die drei Brüder Coligny © S.H.P.F.
Philipp von Lothringen, Herzog von Mercoeur (1558-1602) © Collection privée

Im Jahre 1558 schlägt die Reformation Wurzeln in der Bretagne. François d‘Andelot, Bruder des Admirals von Coligny, lädt den gesamten bretonischen Adel in sein Schloss La Bretesche in Missillac zum Hören einer protestantischen Predigt ein. Er macht seinen ganzen Einfluss geltend, um das Interesse der Adligen der Umgebung für den neuen Glauben zu wecken. Die Ideen der Reformation waren schon ein wenig in die Bretagne eingedrungen, doch hier bot sich die Gelegenheit, offen seine Sympathie oder seine Mitgliedschaft zu bezeugen. Der Aufschwung des Calvinismus in der Bretagne geht bis 1565 weiter, besonders im französischsprachigen Teil. Das Finistère ist wenig betroffen, denn es fehlt an bretonisch sprechenden Predigern.

Der Adel stellt einen wichtigen Anteil in der protestantischen Gemeinde dar, sogar der Hochadel wie die Familien Rohan und Châtillon. Über hundert adlige Familien treten zum Calvinismus über. Sie begründen die Kirchen auf dem Lande. Die Kirchen in den Städten Nantes, Vitré, Rennes, Guérande, Morlaix bestehen aus bürgerlichen Familien und Handwerkern.

Die Bartholomäusnacht findet wenig Resonanz in der Bretagne. Bis 1585 gibt es wenige Verfolgungen, zweifelsohne wegen des Schutzes durch den Adel. Aber 1585 wird alles anders, als der Gouverneur der Bretagne, der Herzog von Mercœur, sich auf die Seite der Liga stellt und die Protestanten verfolgt. Einige Pfarrer verlassen die Provinz. Einige Adlige schwören ab, andere schließen sich der Armee des Prinzen von Condé an. Nach der Weigerung von Mercœur 1589, Heinrich IV. zu gehorchen, verschlimmert sich die Lage der Protestanten. Die Kirchen sind verstreut, außer in Vitré, wo die Protestanten die Stadt halten. Diese widersteht der Belagerung durch Mercœur und wird nur durch die Ankunft der königlichen Truppen gerettet. Die protestantischen Adligen laufen zum Lager Heinrichs IV. über, aber viele finden während der Auseinandersetzungen den Tod.

Das Edikt von Nantes beendet den Konflikt. Mercœur unterwirft sich Heinrich IV., aber der bretonische Protestantismus ist ruiniert. Außerdem ist das Edikt ungünstig für die bretonischen Protestanten, denn ihre Religion ist nur an den Orten erlaubt, wo sie 1596 und 1597 öffentlich ausgeübt wurde. Doch während der Herrschaft von Mercœur wurde der protestantische Gottesdienst außer in Vitré nur noch heimlich gefeiert. Er wird allerdings in Nantes, Rennes und Le Croisic wieder hergestellt. Die übrigen Kirchen sind Ortskirchen im Umkreis der protestantischen Adligen, die von der Auseinandersetzung mit Mercœur sehr geschwächt sind. Die Protestanten verfügen über keinen einzigen Sicherheitsplatz in der Bretagne, haben jedoch einige Orte, an denen sie heiraten dürfen.

Der Niedergang des Protestantismus (17. Jahrhundert)

Herzog Heinrich von Rohan (1579-1638)

Im Jahre 1611 wird der zwanzigjährige Henri de Rohan mit der Aufgabe betraut, die Hugenottenpartei in der Nachfolge von Coligny, Condé und Heinrich von Navarra anzuführen. 1621 tritt er an die Spitze des Aufstandes der Protestanten gegen Ludwig XIII., aber er wird von den königlichen Truppen besiegt und muss sich dem König unterwerfen. Das bedeutet das Ende der Hugenottenpartei. Seine Mutter Catherine de Partenay, eine unerschütterliche Hugenottin, unterstützt den Widerstand der Stadt La Rochelle während der Belagerung von 1628. Aber zwei Generationen später werden die Nachkommen der Rohans katholisch. Währenddessen gelingt einer weiteren Familie des protestantischen Adels ein bemerkenswerter Aufstieg: den Gouyons de la Moussaye. Amoury III. de la Moussaye heiratet 1629 Henriette de la Tour d‘Auvergne, Tochter des Prinzen von Sedan und Schwester von Turenne, und er wird zum Gouverneur von Rennes und Generalleutnant der Bretagne.

Die örtlichen Kirchen halten sich, solange die adligen Familien protestantisch bleiben. Aber unter der Herrschaft von Ludwig XIII. kehren viele Adlige zum Katholizismus zurück.

Unter den Stadtkirchen ist die von Nantes die blühendste auf Grund der Ankunft zahlreicher holländischer Kaufleute in dem wichtigsten Hafen des Reiches. Die Gemeinde versammelt sich in der protestantischen Kirche von Sucé am Ufer der Erdre, diese befahren die Protestanten mit dem Schiff stromaufwärts und singen dabei Psalmen.

Die Gemeinde von Rennes versammelt sich im Cleusné-Tempel, der den traurigen Rekord der durch Volkswut verursachten Brände hält: viermal im 17. Jahrhundert, 1613, 1654, 1661 und 1675. Jedes Mal ordnete die königliche Macht den Wiederaufbau auf Kosten der Stadt an, trotz der Proteste der Katholiken aus Rennes. Im Jahr 1675 wurde der protestantische Friedhof selbst geschändet. Die meisten Protestanten in Rennes stammten nicht aus Rennes: Sie kamen aus Vitré, aber auch aus der Normandie und dem Poitou.

Die Flucht der Protestanten

Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes wurden alle protestantischen Kirchen zerstört. Die Provinz kennt keine Dragonaden, denn der Gouverneur der Bretagne, der Herzog von Chaulmes, lehnt die Ankunft von Truppen ab. Doch die meisten Protestanten schwören ab. Einige widerstehen, ohne bedroht zu werden, weil sie stark verstreut waren. Andere fliehen in die anglonormannischen Inseln, nach England oder nach Holland. Die wichtigsten Häfen für die Einschiffung sind Nantes und Saint-Malo. Die königliche Verwaltung lässt die Küsten überwachen, aber diese Überwachung scheint in einer vom Meer umgebenen Region wenig wirksam zu sein. In Vitré betrifft die Auswanderung ein Drittel der Protestanten, in Nantes und Rennes die Hälfte. Die Verhafteten werden in den Gefängnissen von Saint-Malo oder Rennes eingesperrt.

Das Verschwinden (18. Jahrhundert)

In Nantes erhalten die Protestanten recht schnell eine scheinbare Freiheit dank der Ankunft von ausländischen, schweizerischen und deutschen Kaufleuten, die mit dem Handel und der Herstellung von „Indiennes“ betraut waren, jenen bedruckten, im 18. Jahrhundert so begehrten Stoffen. Ab 1740 finden heimliche Gottesdienste bei einem holländischen Staatsangehörigen statt, danach in der Fabrik für „Indiennes“ von Pelloutier.

Die bretonischen Protestanten sind mehrheitlich für die Revolution. Aber ab 1792, mit der Kriegserklärung, werden die Ausländer verdächtig und die Textilindustrie der „Indiennes“ bricht zusammen. Die protestantische Gemeinde von Nantes ist nach den Revolutionsjahren sehr geschwächt. Sie hat keinen Pastor und keinen Gottesdienstort mehr.

Die Bretagne, Land der Evangelisierung (19. Jahrhundert)

Bibelhausierer © Mours
Admiral Jauréguiberry (1815-1887) © Collection privée

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zählt die Bretagne nur eine einzige von den organischen Artikeln (1802) anerkannte Kirche, die von Nantes, die ab 1804 einen neuen Aufschwung erlebt. Einige Protestanten aus Nantes häufen erneut Reichtümer an wie Thomas Dobrée, einer der größten Reeder Frankreichs, und Louis Say, der riesige Zuckerfabriken aufbaut.

Die protestantische Gemeinde entwickelt sich unter Pastor Benjamin Vaugiraud (1818-1883), einem Schüler von Adolphe Monod. Er gründet zahlreiche Hilfswerke und schreibt eine „Geschichte der reformierten Kirchen in der Bretagne“. Am Ende des Jahrhunderts zählt die Gemeinde etwa tausend Mitglieder und zieht zahlreiche Neubekehrte an. Deren berühmtester ist Hippolyte Durand-Gasselin, dessen Familie der Gemeinde ein halbes Jahrhundert lang vorstehen wird.

Dank einer Einwanderung von Engländern an den bretonischen Küsten entsteht eine neue Kirche in Brest. Sie wird zunächst von einem englischen Laien geleitet, dann, 1832, von einem jungen französischen Pfarrer aus der Erweckungsbewegung, Achille Le Foudrey, der mit Hilfe der antiklerikalen Stadtverwaltung fest angestellt wird. Unter seinen Gemeindemitgliedern zählt er den Fregattenkapitän Jean-Bernard Jauréguiberry, den zukünftigen Marineminister in der Regierung Waddington. Mit Hilfe der Evangelischen Gesellschaft gründet er eine neue Gemeinde erst in Rennes, dann in Lorient.

Diese französische Evangelisierung wird von walisischen Missionaren weitergeführt. Wales hat im 18. Jahrhundert eine Erweckungsbewegung erlebt, die von einem Wiedererstehen der keltischen Sprache und Literatur begleitet wurde. Darum interessieren sich die Waliser für ihre keltischen Brüder, die Bretonen.

Der erste walisische Missionar, der baptistische Pfarrer John Jenkins, kommt 1834 an, lernt bretonisch und übersetzt das Neue Testament mit Hilfe eines bretonischen Schriftstellers. Er gründet umherziehende Schulen, die zu Brutstätten neuer Gemeinden werden, besonders in Trémel (Côtes d‘Armor) dank einer Frau, Marie Ricou, und ihres Sohnes, des Pfarrers Guillaume Le Coat.

Diese baptistische Mission wird durch eine methodistische Mission verstärkt, auch sie unterstützt von den walisischen Kirchen. Pfarrer William Jenkyn-Jones hat eine bemerkenswerte Ausstrahlung. Er gründet Kirchen rund um Quimper, dann in den Häfen des südlichen Finistère, wo die Evangelisierung mit einem Kampf gegen den Alkoholismus einhergeht. Im Jahre 1914 zählt man zehn Gottesdienstorte im südlichen Finistère, mehrere im Norden.

Die Evangelischen haben einen großen Beitrag zur Entwicklung der bretonischen Sprache geleistet, zur Übersetzung von Bibel und Kirchenliedern ins Bretonische, die von Hausierern verbreitet wurden. Der Hausierhandel wird von mehreren Evangelisierungsgesellschaften finanziert.

Außerdem ist die Evangelische Volksmission in Lorient und Nantes in den Arbeiterkreisen am Werk und begründet „Bruderschaften“. Die Bruderschaft von Nantes entwickelt sich besonders stark und verbindet geistige Aktivitäten und soziales Wirken.

Die Entstehung der protestantischen Zigeunerkirchen (20. Jahrhundert)

Die evangelische Mission wirkt Anfang des Jahrhunderts weiter, entwickelt sich in Paimpol, verliert aber ab 1930 an Einfluss.

Während des Krieges werden zahlreiche Gottesdienstorte zerstört: in Brest, Lorient, Nantes und Saint-Nazaire. Nach dem Krieg wird der Gottesdienst in Holzbaracken wieder aufgenommen, bevor die protestantischen Kirchen wieder aufgebaut werden.

Die Pfingstgemeinden nehmen die Mission nach dem Krieg wieder auf und über zwanzig Kirchen werden ab den 50er Jahre in allen großen Städten eröffnet.

Ebenfalls in der Bretagne beginnt 1951 die Mission von Pfarrer Le Cossec aus der Pfingstgemeinde unter den Zigeunern. Einige Jahre später zählen die Versammlungen um Rennes Tausende evangelischer Zigeuner. Die Evangelische Zigeunermission verbreitet sich überall in Frankreich und jenseits der Grenzen.

Heutzutage bleibt der Protestantismus in der Bretagne eine kleine Minderheit und ist besonders vielfältig. Er zählt heute etwa fünfzig Gottesdienstorte (davon etwa zehn der reformierten Kirche und der Volksmission) ohne die protestantischen Kirchen, die nur im Sommer in den Ferienorten geöffnet sind.

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Bibliographie

  • Seiten
    • Les temples protestants de France | Link
  • Bücher
    • CARLUER Jean-Yves, Protestants et bretons, la mémoire des hommes et des lieux, Éd. La Cause, Paris, 1993

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