Die Wiedereingliederung
von Elsass-Lothringen
nach 1918
Die Rückkehr zu Frankreich
Wenn die Wiedereingliederung von Elsass-Lothringen, oder richtiger des Elsass und des Moselgebiets, auch 1914 für die Franzosen kein vorrangiger Kriegsgrund war, so wird die „Revanche“ jedoch sehr rasch zu einem mit Nachdruck verkündeten Ziel. Es herrscht völliger Konsens über die Forderung nach Rückgabe der 1871 verlorenen Provinzen, die aus materiellen, politischen und moralischen Gründen als eine der Bedingungen für den Frieden angesehen werden : „die Rückkehr dieser Provinzen zu Frankreich ist für die zivilisierte Welt zum Symbol für alle unerlässlichen Reparationen geworden“ („le retour de ces provinces à la France est devenu, pour l’univers civilisé le symbole de toutes les réparations indispensables“ (Pfarrer L. Lafon). Alle Protestanten Innerfrankreichs freuen sich über die Rückkehr des elsässischen Protestantismus.
Der Einmarsch der französischen Truppen wird begeistert gefeiert. Die etwa 100.000 aus Deutschland stammenden „Alt-Deutschen“ („Vieux-Allemands“) werden ausgewiesen. Die meisten elsässischen Führungskrafte, die als deutschfreundlich gelten, verlieren ihre Stelle. Es werden „Auslesekommissionen“ (« commissions de triage ») eingerichtet, um die Lage der an die dreißig Pfarrer zu beurteilen, zehn von ihnen werden nach Deutschland ausgewiesen.
Die Neuordnung der protestantischen Kirchen und der Kirchenbehörden war nicht immer einfach : Direktorialkommission (Commission directoriale), dann Direktorium (Directoire) bei den Lutheranern, Synodalkommission (Commission synodale) bei den Reformierten. Die Regierung, die eine zu starke Einflussnahme der deutschfreundlichen Elemente befürchtete, griff bei einigen Ernennungen unmittelbar ein und erlaubte so den Frankophilen, die Leitung der Kirchen zu übernehmen. Die Protestanten des Elsass fühlten sich zu einem großen Teil jedoch vor allem als Elsässer, weder als Franzosen noch als Deutsche, woraus ein Abstand zwischen ihnen und den neuen Verantwortlichen entstand, der zu einer Quelle späterer Konflikte wurde.
Der Fortbestand der Theologischen Fakultät Straßburg (Faculté de Théologie de Strasbourg) im Rahmen der laizistischen Universität stellte ein Problem dar. Es wurde sogar daran gedacht, die Theologischen Fakultät Paris, die aus der 1871 erfolgten Übersiedlung der Theologischen Fakultät Straßburg hervorgegangen war, wieder nach Straßburg zurück zu verlegen. Schließlich wurde der Status quo beibehalten, und Pfarrer Paul Lobstein, der in Straßburg als Professor für Dogmatik wirkte, nahm die Neuordnung der Fakultät vor.
Das elsässische Unbehagen
Aber es kommt rasch zu Missverständnissen : 47 Jahre ausländischer Herrschaft gehen nicht spurlos vorüber, und Elsässer, die Opfer des Krieges waren, waren in beiden Lagern zu finden, die Mehrheit in deutscher Uniform. Bestimmten protestantischen Dörfern wurde bereits vorgeworfen, sie hätten den französischen Truppen gegenüber weniger Enthusiasmus gezeigt als die katholischen Dörfer, und es ist wahr, dass die religiöse Kultur der elsässischen Protestanten im Wesentlichen deutsch geprägt war. Die „Innerfranzosen“ („Français de l’intérieur“) einschließlich der Elsässer, die sich nach 1870 in Frankreich niedergelassen hatten, können kaum die tiefgreifenden Veränderungen beurteilen, die zwischen 1871 und 1914 eingetreten sind, insbesondere das deutsche System der Dezentralisierung und der sozialen Sicherung, das von der Bevölkerung sehr geschätzt wurde. Das Pariser Jakobinertum leitet eine Reihe gesetzgeberischer Maßnahme für das Elsass und Lothringen ein. Letztere werden der Autorität eines beim Vorsitz des Ministerrats angesiedelten Unterstaatssekretärs und dann einem „Allgemeinen Kommissariat der Republik“ („commissariat général de la République“) unterstellt, und dieses Organisationsmuster wird bis 1939 fortbestehen. Die Beamten sind im Allgemeinen mit den elsässischen Besonderheiten wenig vertraut.
Deutsch wird Fremdsprache, Elsässisch wird als eine folkloristische Mundart betrachtet. Die Bevölkerung hat Schwierigkeiten, sich wieder dem französische Recht anzupassen und sieht sich rasch mit den wirtschaftlichen und politischen Problemen Frankreichs konfrontiert. 1924 kündigt Ministerpräsident E. Herriot an, er beabsichtige, in Elsass-Lothringen, wo immer noch das napoleonische Konkordat gilt, die französische Gesetzgebung von 1905 über die Trennung von Kirchen und Staat einzuführen. Der Widerstand im Elsass war beträchtlich, und die Regierung musste ihren Plan aufgeben, aber „die Überschneidung bei der Sprachen-, Schul- und Religionsfrage stellte einen Nährboden für die Autonomiebewegung dar“ („l’imbrication des questions linguistique, scolaire et religieuse constituait un bouillon de culture pour l’autonomisme »). (B.Vogler).
Die öffentliche Meinung ist geteilt zwischen den aus dem städtischen Bürgertum kommenden „Nationalen“, Frankophilen und Frankophonen auf der einen Seite, und der komplexen Gruppe der „Autonomisten“ auf der anderen Seite. Letztere unterteilen sich in folgende Strömungen :
- die äußerst minoritären Separatisten, die die Rückkehr zu Deutschland oder sogar die Unabhängigkeit wollen ;
- die Regionalisten, die am zahlreichsten sind ; sie halten an der Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse im Schulwesen und religiösen Bereich fest und fordern eine Dezentralisierung, jedoch in einem einheitsstaatlichen Rahmen ;
- die eigentlichen Autonomisten, die wie die vorangehend Genannten für die Zweisprachigkeit und die Beibehaltung der bestehenden Regelung im Bereich von Schule und Religion sind, jedoch nicht lediglich eine Dezentralisierung der Verwaltung, sondern eine politische Dezentralisierung verlangen.
Diesen unterschiedlichen Einstellungen entsprechen mehr oder weniger drei politische Parteien :
- Die Union populaire et républicaine (Republikanische Volksunion) : ihre Anhängerschaft kommt aus den ländlichen und einfachen Schichten, die oft des Französischen unkundig sind. Sie ist autonomistisch ausgerichtet, katholischer Observanz, sie ist die Vorläuferin der Christdemokraten und befürwortet die Einführung der Proportionalvertretung und des Frauenwahlrechts.
- Parti républicain démocrate (Republikanisch-demokratische Partei) – eine ehemalige liberale Partei -. Sie gehört dem protestantischen, städtischen Spektrum an und ist regionalistisch, dabei jedoch national ausgerichtet, und lehnt die Autonomie ab. An ihrer Spitze stehen Frédéric Eccard und Pfarrer Charles Scheer.
- Die jakobinisch und laizistisch ausgerichtete Sozialistische Partei SFIO, deren Bedeutung wächst, während der Kommunismus ein Dasein am Rand führt.
Während die Wahlen 1920 durch ein konfessionell bestimmtes Wahlverhalten beherrscht wurden, waren die Wahlen 1924 durch das Anwachsen der Autonomiebewegung gekennzeichnet, mit einer Mischung von Protestanten und Katholiken.
Die eklatante, vorahnende Antwort auf das allgemeine Unbehagen kommt von Charles Scheer, dem reformierten Pfarrer von Mulhouse, der auf der Liste des „bloc national“ (Nationaler Block) zum Abgeordneten gewählt wurde (1919-1928). Dessen Rede vom 12. Dezember 1921 „erhielt so starken Beifall, dass er einstimmig die Ehrung erhielt, dass diese Rede angeschlagen wurde, was in einer parlamentarischen Laufbahn nur sehr selten vorkommt“ („fut à tel point acclamé que l’honneur de l’affichage, phénomène très rare dans une carrière parlementaire, lui fut décerné à l’unanimité“). (F.Eccart). Charles Scheer erklärt : „Wir lassen nicht zu, dass uns die Zeitungen des Neutralismus, des Autonomismus, des Föderalismus bezichtigen. Selbstverständlich kann man über die Organisation unseres Landes unterschiedlicher Meinung sein, aber es handelt sich hierbei nicht um eine nationale Frage. Vom nationalen Gesichtspunkt aus betrachtet sind wir alle Franzosen… Wir brauchen eine Politik des Vertrauens… und auch der Geduld, damit das Elsass wirklich französisch ist und bleibt… Das Elsass ist französisch, vertrauen Sie ihm ! „ („Nous n’admettons pas que des journaux nous accusent de neutralisme, d’autonomisme, de fédéralisme. On peut avoir évidemment des opinions différentes sur l’organisation de notre pays, mais il ne s’agit pas là d’une question nationale. Au point de vue national, nous sommes tous français… Il nous faut une politique de confiance… et aussi de patience pour que l’Alsace soit et reste vraiment française… L’Alsace est française, Ayez confiance en elle ! „)
Die elsässischen Protestanten und die protestantischen Kirchen Innerfrankreichs
Die protestantischen Kirchen Innerfrankreichs nahmen mit den Kirchen Elsass-Lothringens rasch Kontakt auf. Nach dem Enthusiasmus des ersten Wiederfindens stellte sich jedoch das Problem der unterschiedlichen Verfassung der Kirchen, da für die Kirchen Elsass-Lothringens weiterhin das Konkordat galt.
Die 1905 gegründete Fédération protestante de France ist der Ort für Treffen und Diskussionen. Die Église réformée d’Alsace et de Lorraine (ERAL) (Reformierte Kirche von Elsass-Lothringen (ERAL)) trat ihr ohne Zögern bei. Den Lutheranern (ECAAL) dagegen fiel die Annäherung schwerer : „brüderliche Beziehungen, jedoch ohne direkten Beitritt“ („relations fraternelles, mais sans affiliation directe“), da die elsässischen Lutheraner weder ihre religiösen Gewohnheiten (Lutherbibel, deutsche Kirchenlieder) noch ihr Verhältnis zum Staat angetastet sehen wollten und darüber hinaus über das Bestehen von Tendenzen in der Fédération beunruhigt waren, die sie als „sektiererisch“ betrachteten.
Nach und nach ergab sich jedoch über die Fédération protestante eine engere Zusammenarbeit zwischen ERAL und ECAAL und den Kirchen Frankreichs. Die Elsässer achteten zwar streng auf ihre Unabhängigkeit, verspürten jedoch die Notwendigkeit, Verbindungen zu knüpfen und ihren Horizont zu erweitern. Die ökumenische Bewegung und ihre verschiedenen Treffen waren ein wichtiger Faktor bei dieser Annäherung.
Die Wahl Straßburgs für die Generalversammlung des französischen.
Protestantismus 1924 bezeugte den Willen, die Differenzen beizulegen. 1924 befanden sich unter den achtundzwanzig Mitgliedern des Rats der Fédération protestante de France sieben Vertreter von Elsass-Lothringen (von denen jedoch keiner dem Präsidium angehörte).
Bibliographie
- Bücher
- STORNE-SENGEL Catherine, Les protestants d’Alsace-Lorraine de 1919 à 1939 : entre les deux règnes, Collection Recherches et Documents, Société savante d'Alsace, 2003, Tome 71, p. 371
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