Das Gesetz von 1905

Das Gesetz vom 9. Dezember 1905 über die Trennung von Kirche und Staat regelt die Laizität in Frankreich. Es garantiert die Kultusfreiheit im Geiste der Revolution von 1789, indem es ihr einen rechtlichen Rahmen verleiht, und es markiert das Ende der Auseinandersetzungen zwischen laizistischer Republik und katholischer Kirche.

Die Vorgeschichte des Gesetzes

Die Französische Revolution hatte eine Bewegung in Gang gesetzt, die zu einer zunehmenden Laizisierung der Institutionen führte. Mit der Restauration (1814-1830) und noch mehr mit der Revolution von 1848 setzt sich angesichts der konterrevolutionären und republikfeindlichen Haltung der katholischen Kirche der von zahlreichen Intellektuellen und Politikern befürwortete Gedanke einer Trennung von Kirchen und Staat durch. Der klerikale Vorstoß ist besonders stark in der Zeit des „ordre moral“ (1873-1876). Die im Dezember 1894 beginnende Dreyfus-Affäre markiert jedoch einen bedeutenden politischen Einschnitt in den Beziehungen zwischen katholischer Kirche und Republik, während das Freidenkertum weiter um sich greift, was den Trennungsprozess beschleunigt.

Das Gesetz von 1901, das die Vereinigungsfreiheit begründet, ermöglicht eine Kontrolle über die religiösen Kongregationen und die Zurückdrängung ihres Einflusses im Unterrichtswesen. 1904 wird dann den Kongregationen per Gesetz die Befugnis zum Unterrichten entzogen.

Die Ausarbeitung des Gesetzes

Ferdinand Buisson (1841-1932) © S.H.P.F.

Der erste Gesetzesvorschlag zur Trennung von Kirche und Staat geht auf das Jahr 1902 zurück. Bei den Protestanten besteht keine Einstimmigkeit über die Trennung : die Lutheraner stehen ihr eher ablehnend gegenüber, desgleichen die liberalen Reformierten, während die dem „bloc des gauches“ ( Block der Linken) näher stehenden orthodoxen Reformierten eher dafür sind oder sie zumindest hinnehmen.

1903 wird unter der Regierung Émile Combes eine Kommission „zur Trennung von Kirchen und Staat und zur Aufkündigung des Konkordats“ eingesetzt. Den Vorsitz führt ein Protestant und ehemaligen Pfarrer, Ferdinand Buisson. Aristide Briand ist Berichterstatter.

Es sind noch weitere Protestanten aktiv an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligt : der radikale Abgeordnete Eugène Réveillaud, Raoul Allier, Francis de Pressensé und vor allem Louis Méjan, der an der Seite von Aristide Briand an der Abfassung des Vorentwurfs des Gesetzes teilnimmt.

Dadurch ist es ihnen möglich, die Abfassung dahingehend zu beeinflussen, dass sie Zusammenschlüsse von Kultusvereinen auf nationale Ebene erlaubt, was in dem von Émile Combes 1904 vorgelegten Entwurf untersagt war. Nach dem Fall der Regierung Combes Anfang 1905 legt Ministerpräsident Maurice Rouvier einen neuen Entwurf vor, der dem der Kommission entspricht.

Die Debatten über das Gesetz sind besonders langwierig und leidenschaftlich (48 Sitzungen zwischen März und Juli 1905). Die Abgeordneten, die gegen die Trennung sind, und diejenigen, die eine für die Kirchen sehr rigorose Trennung wollen, stoßen hart aufeinander. Im Senat erstrecken sich die Debatten im November und Anfang Dezember 1905 über 21 Sitzungen.

Der Inhalt des Gesetzes

Das Gesetz von 1905 folgt auf das vom 1. Juli 1901, das die gleichen zwei Seiten hat : eine liberale in Bezug auf die Gründung von Vereinen, eine repressive, um diejenigen, die es ablehnen (die religiösen Kongregationen) außerhalb des Gesetzes zu stellen. Das Pendel des Trennungsgesetzes (loi de séparation) – das Wort erscheint nur im Gesetzestitel – schwingt häufig zwischen Freiheit und Repression hin und her. Es besteht aus 44 Artikeln, die in sechs Titeln zusammengefasst sind.

In dem ersten Titel sind die Prinzipien aufgeführt : Artikel I : Die Republik gewährleistet die Gewissensfreiheit. Sie garantiert die freie Ausübung der Kulte vorbehaltlich der nachstehenden, im Interesse der öffentlichen Ordnung verfügten Einschränkungen. (Article 1. La République assure la liberté de conscience. Elle garantit le libre exercice des cultes sous les seules restrictions édictées ci-après dans l’intérêt de l’ordre public).

Es folgt, worin die Trennung besteht : Artikel 2. Von der Republik wird kein Kultus anerkannt, besoldet oder subventioniert. Folglich werden ab dem auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden 1. Januar alle Ausgaben für die Ausübung der Kulte aus den Haushalten des Staates, der Departements und der Gemeinden gestrichen (Article 2. La République ne reconnaît, ne salarie ni ne subventionne aucun culte. En conséquence, à partir du Ier janvier qui suivra la promulgation de la présente loi, seront supprimés des budgets de l’État, des départements et des communes, toutes dépenses relatives à l’exercice des cultes).

In die vorgenannten Haushalte können jedoch die Ausgaben für besondere Seelsorgedienste und zur Gewährleistung der freien Kultausübung in öffentlichen Einrichtungen, wie Schulen (lycées, collèges, écoles), Hospizen, Asylen und Gefängnissen, eingebracht werden.(Pourront toutefois être inscrites aux dits budgets les dépenses relatives à des exercices d’aumôneries et destinées à assurer le libre exercice des cultes dans les établissements publics tels que lycées, collèges, écoles, hospices, asiles et prisons).

Die Bestimmungen des Konkordats von 1801 und der „Articles organiques“ von 1802 sind damit aufgehoben. Eine jede Kirche muss sich selbst finanzieren.

  • Die Kultusvereine (Associations cultuelles)

Die Organisation der Kultausübung basiert auf dem Kultusverein. Von einer jeden Pfarrei – wie auch von einem jeden Konsistorium – muss ein solcher Verein gegründet werden (Artikel 4). Diese Kultusvereine dienen „ausschließlich dem Zweck der Ausübung eines Kultes“ („exclusivement pour objet l’exercice d’un culte“) und müssen in Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern „aus mindestens 25 volljährigen Personen bestehen, die in dem Religionsbezirk ihren Wohnsitz oder ihren Aufenthalt haben. Sie erhalten Mitgliederbeiträge, Spenden und Vermächtnisse ; sie müssen mindestens einmal jährlich eine Mitgliederversammlung abhalten, die Rechnungen prüfen und bestätigen („être composées d’au moins 25 personnes majeures, domiciliées ou résidant dans la circonscription religieuse. Elles reçoivent des cotisations de leurs membres, des dons et legs ; elles doivent tenir au moins une assemblée générale chaque année, examiner les comptes et les approuver). In den Artikeln 18 bis 24 werden die Pflichten und Kontrollen der Kultusvereine im Einzelnen aufgeführt.

  • Die Zuweisung des Kirchenvermögens

Die Artikel 3 bis 10 befassen sich mit dem Vermögen der Kultuseinrichtungen. Von diesem muss eine doppelte Bestandsaufnahme gemacht werden, um zu unterscheiden, was den Einrichtungen gehört (und folglich grundsätzlich den Kultusvereinen zugewiesen wird) und dem, was dem Staat oder den Gemeinden gehört.

Artikel 11 regelt die Pensionen der Kultusdiener, die nach Erreichung des 60. Lebensjahrs ihr Gehalt verlieren, die Hinterbliebenenrenten und Leistungen für ihre Familien.

  • Die Kultusgebäude

Die Artikel 12 bis 17 betreffen die Zuweisung der Kirchen, Pfarrhäuser, Seminare und theologische Fakultäten, die mit dem Konkordat und den „Articles organiques“ „der Nation zur Verfügung gestellt wurden“ („mis à la disposition de la Nation“) – und zwar nach der vorgesehenen Bestandsaufnahme. Diese Gebäude werden den Kultusvereinen zur Verfügung gestellt, und diese müssen für ihre Erhaltung aufkommen. Die schönsten Bauwerke wurden mit dem Gesetz von 1887 als „monuments historiques“ (historische Baudenkmäler) unter Denkmalschutz gestellt, wodurch der Staat und die Gemeinden ihre Erhaltung übernehmen mussten ; weitere Objekte werden unter Denkmalschutz gestellt (Artikel 16).

  • Kultusordnung

Sie ist im Einzelnen in den Artikeln 25 – 36 festgelegt und immer noch in Kraft. Das Läuten der Glocken wird durch Gemeindeverordnungen geregelt, desgleichen Prozessionen ; es ist untersagt, in den einem Kultus dienenden Räumlichkeiten politische Versammlungen abzuhalten ; der Religionsunterricht für Kinder von 6 – 13 Jahren muss außerhalb der Unterrichtszeiten erteilt werden ; religiöse Zeichen und Embleme sind auf öffentlichen Gebäuden untersagt… Verstöße werden mit Geldstrafen geahndet, desgleichen Drohungen gegen Personen, um sie zu zwingen, Mitglied in einem Kultusverein zu werden oder aus einem Kultusverein auszutreten.

Die letzten Artikel enthalten allgemeine Bestimmungen, darunter die Aufhebung der vorangehenden Gesetze und Dekrete ; es gibt keine anerkannten Kulte mehr.

Die Anwendung des Gesetzes

Bereits ab 1906 bilden die Presbyterialräte der protestantischen Kirchen Kultusvereine. Diese werden Eigentümer der protestantischen Kirchen, mit Ausnahme derjenigen, die als historische Baudenkmäler gelten und derjenigen, die schon im Eigentum nicht unter das Konkordat fallender Lokalkirchen stehen. Dies trifft auf die Freikirchen zu, die bereits vom Staat unabhängig sind.

Im Großen und Ganzen waren die Protestanten wie auch die Israeliten zufrieden mit einem freiheitlichen Gesetz, das sie mit den Katholiken gleichstellte.

Papst Pius X verurteilt das Gesetz und hält es für einen einseitigen Bruch des Konkordats von 1801. Er verbietet den Katholiken, sich in Kultusvereinen zu organisieren. Deswegen bleiben in den meisten Fällen die vor 1905 erbauten Kirchen Eigentum der Gemeinden und die Kathedralen Eigentum des Staates. Die Bestandsaufnahmen der kirchlichen Vermögen lösen Widerstände und sogar Unruhen aus, die sich nach 1908 wieder legen. Clémenceau befriedet die Lage : die Gebäude des katholischen Kults werden den Katholiken kostenlos zur Verfügung gestellt.

Der orthodoxe Kult, den es 1905 in Frankreich noch nicht gab, konnte sich dann in das gesetzliche Muster einfügen.

Im Elsass und im Mosel-Gebiet, die damals unter deutscher Herrschaft standen, wurde das Gesetz von 1901 nicht angewandt, und sie behielten auch nach ihrer Rückkehr zu Frankreich die Regelungen des Konkordats bei. Es gilt auch nicht für Französisch Guayana, Saint-Pierre et Miquelon und Mayotte.

Noch heute stellt das Gesetz von 1905 innerhalb der Europäischen Union eine französische Besonderheit dar. In den anderen Ländern sind die Kirchen, auch wenn sie nicht in den staatlichen Bereich eindringen dürfen, nicht streng in den kulturellen Bereich verwiesen, sondern können auch gesellschaftlich agieren.

Bibliographie

  • Bücher
    • BAUBEROT Jean, Laïcité 1905-2005, entre passion et raison, Le Seuil, Paris, 2004
    • BOYER Alain, Le droit des religions en France, PUF, Paris, 1993
    • BOYER Alain, La Loi de 1905, Olivétan, 2005

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