Pierre Loti (1850-1923)

Der unter dem Künstlernamen Pierre Loti bekannte Julien Viaud war Seefahrer und Schriftsteller. Er wurde von seiner Mutter, einer tiefgläubigen reformierten Protestantin, erzogen und hat weder seine Herkunft noch diese Erziehung jemals verleugnet. Er war viel auf Reisen und wurde noch zu Lebzeiten zu einem gefeierten Literaten.

In seinem Geburtshaus in Rochefort, das zum Stadtmuseum erklärt wurde, begegnet man seinen Abenteuern und seiner phantasiereichen Gedankenwelt.

Eine Jugend in der Provinz

  • Briefmarke: Darstellung Pierre Lotis © Collection privée

Julien Viaud, der sich ab 1881 den Künstlernamen Pierre Loti zulegte, wurde am 14. Januar 1850 in Rochefort im Departement Charente-Maritime geboren. Sein Vater Théodore Viaud war anlässlich seiner Heirat zum reformierten Glauben übergetreten.

Seine Mutter, Nadine Texier, entstammte einer Familie praktizierender Protestanten, die sehr an ihrem reformierten Glauben und an der Geschichte der Hugenotten hingen. Die Erzählungen von den grausamen Verfolgungen, denen seine Vorväter zur Zeit des Widerrufs des Edikts von Nantes ausgesetzt gewesen waren, beeindruckten den kleinen Julien zutiefst und entführten ihn in ein spannendes Reich der Phantasie.

Julien Viaud wuchs in einer nüchternen Umgebung auf. Er besuchte eine protestantische Erziehungsanstalt, lief in einer langweiligen Kleinstadt herum, besuchte seine Großmütter auf der Insel Oléron, las täglich in der Bibel… Als er an die zehn Jahre alt war, wollte er Pastor werden.

Seine einzige Freude war das Meer, das sich vor seiner Haustür ausbreitete, und die phantastischen Erzählungen seines fünfzehn Jahre älteren Bruders und seiner Bekannten, die aus den Kolonien zurückkamen und vom Leben in den Tropen schwärmten. Das beeindruckte ihn stark und ließ ihn sich nach fernen Abenteuern sehnen : „Oh, was hatte das kleine Wort „Kolonien“ in meiner Jugend für einen verwirrenden und magischen Klang. Es schloss für mich alle fernen und heißen Länder ein, mit ihren Palmen, ihren üppigen Blüten, ihren Negern, ihren wilden Tieren und den Abenteuern, die sie für mich bereithielten.

Doch bald brachen für ihn schwierige Zeiten an. Sein Bruder starb bei einem Schiffbruch im Golf von Bengalen und seine Familie hatte mit starken Geldproblemen zu kämpfen, da sein Vater wegen eines Diebstahls vor Gericht stand (und später freigesprochen wurde). Julien zog 1866 nach Paris und bewarb sich um einen Studienplatz an der Hochschule für Schifffahrtswesen. In Paris wurde er im reformierten Tempel des Oratoriums (Temple de l’Oratoire) konfirmiert. 1867 wurde er an der Hochschule angenommen und stach 1869 zum ersten Mal im Mittelmeer in See.

So begann Juliens Werdegang als Seefahrer, der ihn in weite Ferne führen sollte. Schon bald schrieb er für Pariser Zeitschriften kleine Artikel, die er selbst auf sehr talentierte Weise illustrierte, und arbeitete an Romanentwürfen, die er allerdings für sich behielt.

Sein erster Roman wurde 1879 anonym veröffentlicht : Aziyadé [dt. Ausgabe : Die Ehe des Lieutenants Grant, 1886]. Er entstand aus autobiographischen Aufzeichnungen und handelt von den phantastischen Abenteuern eines englischen Marineleutnants, der sich in der Türkei in eine bezaubernde weiße Haremssklavin verliebt. Hier scheint zum ersten Mal die Faszination durch, die die Türkei auf Julien Viaud ausübte.

Dieser Roman hatte nicht den geringsten Erfolg, aber ein Jahr später erschien unter dem Künstlernamen „Pierre Loti“ der Roman Le mariage de Loti [Die Hochzeit Lotis], der ihn unter diesem neuen Namen bekannt machte und eine durchaus wohlwollende Aufnahme fand.

Der Schriftsteller Loti

Seine Aufnahme in die literarische Welt verdankte Loti Juliette Adam, der Herausgeberin der Nouvelle Revue [Neue Zeitschrift], die ihm die Türen der Pariser Salons öffnete.

Aber sein Leben als Marineleutnant wurde davon nicht unterbrochen. Er fuhr weiterhin zur See und besuchte ferne Länder : Tahiti, und im Fernen Osten Hongkong, Saigon, Formosa und Japan. Während seiner Heimataufenthalte in Rochefort langweilte er sich, schrieb emsig und schmückte sein Geburtshaus auf extravagante Weise mit den Souvenirs seiner Reisen aus.

Es ist aber dennoch seine Heimat, die Charente und die angrenzende Bretagne, die ihm die Ideen zu seinen berühmtesten Werke eingaben : Mon frère Yves [1883 ; Mein Bruder Yves] und Pêcheurs d’Islande [1886 ; dt. Ausgabe : Islandfischer, 1888], eine bewegende Geschichte von Liebe und Tod, die einen überwältigenden Erfolg hatte. Seine Eindrücke von Japan finden sich in seinem Roman Madame Chrysanthème (1887) wieder, der Puccini zu seiner Oper Madame Butterfly (1904) anregte.

1886 heiratete er im reformierten Tempel der Chartrons in Bordeaux Blanche Franc de Ferrière, die ihm zeitlebens eine unauffällige und unterwürfige Gattin war.

Seine 1890 erschienene Erzählung Le Roman d’un Enfant [Der Roman eines Kindes] schildert seine freudlose und einsame Kindheit, die von der alles beherrschenden Figur seiner Mutter überschattet gewesen war.

1891 wurde Pierre Loti in die Académie Française aufgenommen, wo er den freigewordenen Platz von Octave Feuillet einnahm. Die von Anatole France und einigen mondänen Damen gegen Émile Zola gesponnene Intrige machten aus Loti „den jüngsten Unsterblichen Frankreichs“ [Anm. d. Übs. : als „Unsterbliche“ werden die Mitglieder der Akademie bezeichnet].

Loti hatte das wenig ruhmreiche Kommando der Javelot übernommen, eines Kanonenbootes, das in der Mündung der Bidassoa, des Grenzflusses zwischen Frankreich und Spanien, vor Anker lag. Anfang 1892 zog er in die benachbarte Hafenstadt Hendaye und entdeckte mit Entzücken die Schönheit des Baskenlandes. Hieraus entstand sein 1896 erschienener Roman Ramuntcho, eine keusche und fromme Geschichte über einen jungen Hirten.

Loti war noch immer auf der Suche nach einem echten Glaubenserlebnis. 1894 unternahm er eine Reise ins Heilige Land, von der er allerdings verbittert und enttäuscht zurückkehrte. Nach einer im Olivenhain des Garten Gethsemane verbrachten Nacht schrieb er : „Keiner sieht mich an, keiner hört mir zu, keiner gibt mir Antwort…„.

1898 verfasste Loti das Theaterstück Judih Renaudin, dessen Titelheldin Züge einer Ahnin von Loti trägt, die nach dem Widerruf des Edikts von Nantes (1685) mit ihrer Familie in die Niederlande flüchtete. Die Erinnerung an diese glaubensstarke Protestantin war in der mütterlichen Familie Lotis stets lebendig gehalten worden. Der schöne Erfolg dieses im November 1898 im Pariser Theâtre Antoine erstmals aufgeführten Stückes lag aber auch daran, dass der Historiker Jules Michelet (1798-1864) der schmerzlichen Geschichte des „armen kleinen reformierten Frankreichs“ im republikanischen Selbstbild des Landes einen Ehrenplatz eingeräumt hatte.

Letzte Reisen und letzte Schriften

1900 lief Loti an Bord der Redoutable zu einer Reise in den Fernen Osten aus und kehrte erst nach fast zwei Jahren über die Türkei und Ägypten nach Frankreich zurück. Während dieser Reise verfasste er Berichte und Ortsbeschreibungen, die er später veröffentlichte : Les derniers jours de Pékin [Die letzten Tage von Peking], Vers Ispahan [Nach Isfahan], La mort de Philae [Der Tod Philaes] sowie den sehr farbigen Bericht seiner Entdeckung der kambodschanischen Tempelstadt Angkor : Le Pèlerin d’Angkor [Der Pilger von Angkor], den er 1901 niederschrieb aber erst 1912 veröffentlichte.

Vor und nach dem Ersten Weltkrieg machte sich Loti zum Fürsprecher der Unabhängigkeit der Türkei, was ihm viele Feinde einbrachte.

1910 war er in den Ruhestand getreten, bat aber 1914 beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs um Wiedereinstellung und wurde Verbindungsoffizier des Generals Gallieni. Während der vier Kriegsjahre veröffentlichte er Frontberichte und einige politische Essais, die die offizielle Propaganda der Alliierten unterstützten, darunter La Hyène enragée [Die tollwütige Hyäne] und L’Horreur allemande [Der deutsche Horror].

1918 wurde er im Ehrenblatt der Armee erwähnt und 1922 erhielt er das Großkreuz der Ehrenlegion.

Nach dem Kriege zog sich Loti endgültig nach Hendaye zurück, wo er am 10. Juni 1923 starb. Er erhielt ein Staatsbegräbnis auf der Insel Oléron, so wie er es sich gewünscht hatte. Die Grabrede hielt der Pastor Marc Bœgner.

Loti bleibt in Erinnerung als eine widersprüchliche Persönlichkeit. Er stand treu zu seiner provinziellen Herkunft und war lange auf der Suche nach einem Glaubenserlebnis, ließ sich aber gleichzeitig vom mondänen Leben, von bedeutenden Zeitgenossen und von dem Luxus blenden, den das Geld mit sich bringt. Sein heute fast völlig vergessenes Werk hat ebenfalls zwei Seiten : innerliche und offenherzige Romane, die in einem heute etwas altmodisch anmutendem Stil verfasst sind, und Reiseberichte eines begeisterten und begeisternden Abenteurers.

Seine Hauptschriften

  • Aziyadé (1879),
  • Le mariage de Loti (1180),
  • Mon frère Yves (1883),
  • Pêcheur d’Islande (1886),
  • Madame Chrysanthème (1887),
  • Le roman d’un enfant (1890),
  • Ramuntcho (1887),
  • Le livre de la pitié (1891),
  • Fantôme d’Orient (1901),
  • Les derniers jours de Pékin (1902),
  • Les Désenchantées (1906),
  • La mort de Philae (1909),
  • Le pèlerin d’Angkor (1912),
  • Prime Jeunesse (1912).

Bibliographie

  • Bücher
    • BLANCH Lesley, Pierre Loti, Éditions du Rocher, Monaco, 2007
    • LE TARGAT François, A la recherche de Pierre Loti, Seghers, Paris, 1976
    • QUELLA-VILLEGER Alain, Pierre Loti, l’incompris, Presses de la Renaissance, Breteuil sur Iton, 1986
  • Artikels
    • „Pierre Loti“, Bulletin de la SHPF, Paris

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