Ausgeübte Toleranz
In Frankreich etablierte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dem Protestantismus gegenüber eine Regierungsform der Toleranz ,die jedoch einige tragische Widersprüche beinhaltete.
Die Idee der Gewissensfreiheit setzte sich langsam durch
Aus der Philosophie der Aufklärung hatte sich der Anreiz zu gröβerer Toleranz ergeben. Diese Regierungsform kann man als eine Zeit des Kompromisses charakterisieren, die der Historiker Daniel Roche als « aufgeklärten Absolutismus » bezeichnete.
Immer zwingender wurde die Vorstellung, dass die französischen Protestanten wieder in den Rechtsstaat eingegliedert werden müssten. Turgot, Generalkontrolleur der Finanzen, und Malesherbes, der als Minister <der Maison du Roi> mit dem protestantischen Fall befasst war, setzten sich besonders dafür ein.
Die Unterdrückung der Protestanten wird schwächer
Theoretisch lebten die Protestanten noch unter der repressiven Gesetzgebung des Edikts von Fontainebleau, das 1685 als Widerrufung des Edikts von Nantes erlassen worden war. Diese Gesetzgebung änderte sich nicht, wurde sogar von Ludwig XV. in der Deklaration von 1724 erneuert, jedoch mit weniger Strenge durchgeführt. In der Praxis wurden Härte der Strafen und Auflagen gemildert.
Die « Neubekehrten » wurden nicht mehr systematisch zu den Sakramenten und zum katholischen Katechismusunterricht gezwungen. In zahlreichen Parlamentserlassen wurden ab 1760 die Kinder von Glaubensangehörigen, die ohne die « rechten Feierlichkeiten » der katholischen Kirche geheiratet hatten, als Erben anerkannt. Anlässlich der Taufen ihrer Kinder wurden reformierte Eltern nach und nach nicht mehr als « Konkubinen » oder « Verlobte » in die Kirchenregister eingetragen.
Die Bereitschaft zur Toleranz wurde durch den siebenjährigen Krieg (1756-1763) begünstigt, da eine beträchtliche Anzahl von Truppen im Ausland benötigt wurde und dadurch nicht im Inland gegen die Neubekehrten eingesetzt werden konnte.
Dennoch blieb die Unsicherheit mehr oder weniger allgemein bestehen. Die Auflagen wurden weiterhin aufrechterhalten. Oft waren die Protestanten von der Gunst der örtlichen Autoritäten abhängig.. Sie standen jederzeit unter Androhung von Schikanen , Strafen und Festnahmen.
In der Regierungszeit Ludwigs XV. wurden 200 Hugenotten zur Galeere verurteilt (unter Ludwig XIV. waren 1.500 Galeerensträflinge verbucht worden). Erst 1775 wurden die letzten Glaubenssträflinge dank des Einsatzes von Court de Gébelin, dem Generalabgeordneten der Reformierten Kirchen, freigelassen.
Die letzten drei Gefangenen des Tour de Constance wurden im Januar 1769 befreit.
Was ihre rechtliche Situation anbelangt, konnten die Protestanten weder öffentliche Ämter innehaben noch Gemeindestellen einnehmen.
Erst durch das sogenannte Toleranzedikt (1787) erhielten sie die « zivile Toleranz » und wurden als unter dem Recht stehend anerkannt. Sie erhielten aber weder Kultfreiheit noch Zugang zu Ämtern.
….. und die Lage blieb ungewiss
An einigen Tatsachen kann man die Bedrohung durch die königliche Gesetzgebung ablesen:
Am 18. Februar 1762 starb der in Toulouse zum Galgen verurteilte Pastor François Rochette durch den Strang (er war der letzte zum Tode verurteilte Pastor ),
die Enthauptung der Brüder Grenier, dreier adliger Glasbläser, die versucht hatten, ihn in Caussade zu befreien.
Die Affäre Calas: Die Verurteilung von Jean Calas durch das Parlament von Toulouse.
Calas wurde verurteilt und am 10. März 1762 zu Unrecht lebendig aufs Rad geflochten, weil man ihn des Mordes an seinem Sohn bezichtigte, dessen Übertritt zum Katholizismus er angeblich dadurch habe verhindern wollen.
Die Affäre Calas hatte dennoch eine heilsame Auswirkung. Ein publizistischer Feldzug durch Voltaire führte zur Revision des Prozesses und zur Anerkennung von Calas‘ Unschuld (1765).
Allmähliche Neuorganisation der Kirche
Trotz der anhaltenden Unterdrückung und des fortdauernden Verbots, Gottesdienste abzuhalten, haben sich durch Antoine Courts Wirksamkeit heimliche Zusammenkünfte vervielfacht, und waren dadurch schwieriger zu kontrollieren.
Allmählich entwickelten sich provinzielle und nationale Synoden, angefangen mit der ersten nationalen Synode 1726 im Vivarais bis zur Nationalsynode mit den Delegieren von 19 Provinzsynoden im Jahr 1763. In kleinen Schritten erstand die protestantische Landschaft wieder neu. Beziehungen zwischen den einzelnen Organisationen bildeten sich nur langsam. Jede Gemeinde neigte eher zur Selbstverwaltung unter der Leitung von Laien, meist bestehend aus Honoratioren.
Die „Eglises du Désert“[1] wurden wichtiger und zahlreicher. Ab 1760 stieg die Zahl der Pastoren wieder: 1770 gab es 100 Pastoren, 1788 schon 180. Ihre Lage verbesserte sich auch dadurch, dass sie ihr Amt zunehmend ortsgebunden ausüben konnten und nicht mehr zu ständigem Ortswechsel gezwungen waren. Die Mehrheit der Pastoren wurde am theologischen Seminar in Lausanne ausgebildet.
Court de Gébelin, der Sohn von Antoine Court, wurde in der Nationalsynode von 1763 zum Generalabgeordneten der Kirchen mit Sitz in Paris ernannt. Er übernahm die Leitung der Beziehung der Kirchen zum Staat.
1784 wurde Rabaut-Saint-Etienne sein Nachfolger in diesem Amt. Er leitete die Verhandlungen, die zum Toleranzedikt von 1787 führten.
[1]„Les Eglises du Désert“ bezeichnet die Situation der protestantischen Kirche in der Zeit zwischen dem Edikt von Fontainebleau und dem Toleranzedikt, als die Reformierten ihren Glauben im Untergrund zumeist in der freien Natur an geheimen Versammlungsorten ausüben mussten.
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