Jugend, Studium und erstes öffentliches Auftreten
Jacques Ellul wurde am 6. Januar 1912 in Bordeaux als Sohn eines orthodoxen Vaters und einer protestantischen Mutter geboren. Nach einem brillanten Abitur am dortigen Lycée Montaigne (heute : Lycée Montesquieu) nahm er ein Studium an der Juristischen Fakultät der Universität Bordeaux auf. Während seines Studiums bekannte er sich zum Christentum, trat aber noch keiner protestantischen Kirche bei. Das kam erst später.
Zur selben Zeit tat er sich mit Bernard Charbonneau (1910-1996) zusammen, der ebenfalls in Bordeaux studierte. Die beiden Freunde riefen einen Presseclub ins Leben und leiteten Diskussionszirkel, in denen über die vom wissenschaftlichen Fortschritt hervorgerufenen gesellschaftlichen Verwerfungen debattiert wurde. Ihre Sehweise nahm insofern „ökologische“ Standpunkte vorweg, als sie der Unfähigkeit der Politik, angemessen auf die technologische Entwicklung zu reagieren, auf den Grund ging. Ellul und Charbonneau organisierten auch Ferienlager für die Studenten der „Fédé“ [Fédération Universelle des Associations chrétiennes d’étudiants = Dachverband der Vereinigungen christlicher Studenten].
Nach seiner juristischen Promotion (1936) wurde Jacques Ellul Lehrbeauftragter in Montpellier (1937-1938) und danach Professor an der Juristischen Fakultät von Straßburg (1938-1939).
Er begann zu dieser Zeit seine ersten Artikel in der protestantischen Presse (Le Semeur = Der Säer ; Foi et Vie = Glaube und Leben) zu publizieren und legte sich öffentlich mit der Theologin Suzanne de Dietrich (1891-1981) an.
1940 wurde er auf Betreiben der Vichy-Regierung aus seinem Lehramt entfernt, da sein Vater ein aus Malta stammender Ausländer war. Er versuchte sich zeitweilig als Bauer und wurde in der gegen die Naziherrschaft gerichteten Widerstandsbewegung aktiv, ohne allerdings selbst zur Waffe zu greifen. Seinen Kameraden im Untergrund erteilte er Unterricht und brachte ausgebrochene politische Häftlinge und verfolgte Juden in Sicherheit, indem er ihnen falsche Papiere besorgte und ihnen die Flucht in die unbesetzte Zone Frankreichs ermöglichte.
1943 erhielt er seine Lehrbefähigung für Römisches Recht und Rechtsgeschichte und wurde nach der Befreiung Frankreichs von der Naziherrschaft als Professor an die Juristische Fakultät von Bordeaux berufen, wo er bis zu seiner Pensionierung (1980) tätig war.
Wie viele seiner Generation war Ellul von dem Scheitern des Linksbündnisses der Front Populaire [Volksfront] zutiefst enttäuscht und vom Erlebnis der Naziherrschaft und des Krieges gezeichnet. Er ging also selbst in die Politik und beteiligte sich aktiv an den Vorbereitungen zu der im Oktober 1945 stattfindenden Wahl zur Gesetzgebenden Versammlung. Er wurde Parteimitglied der Union Démocratique et Socialiste de la Résistance [U.D.S.R. = Demokratische und sozialistische Union der Widerstandskämpfer], die allerdings im Departement Gironde weniger als 5 Prozent der Stimmen erhielt und keinen einzigen Abgeordneten stellen konnte.
Sein protestantisches Engagement
Zutiefst enttäuscht von dem Wiedererstarken der traditionellen Parteien wandte sich Ellul fortan dem Protestantismus zu und setzte seine Vorstellung vom christlichen Eingreifen in die moderne Welt in die Tat um.
Er gehörte zum Mitarbeiterstab der 1945 gegründeten Tageszeitung Réforme [Reformation] und der Zeitschrift Foi et Vie [Glaube und Leben]. 1947 nahm er als Abgeordneter der reformierten Kirchenkreise Béarn, Dordogne und Guyenne an der Nationalsynode der Reformierten Kirche Frankreichs (Église Réformée de France = E.R.F.) teil und wurde 1956 in deren Nationalrat aufgenommen.
Er war einer der Mitbegründer der Monatsschrift Le Protestant d’Aquitaine [Der Protestant Aquitaniens].
Zu dieser Zeit engagierte er sich auch in der Gemeindearbeit und öffnete sein Haus in Pessac jeden Monat für einen Gottesdienst. Mit seinem Freund Yves Charrier gründete er außerdem einen der ersten Arbeitskreise zur Vorbeugung der Jugendkriminalität.
Mit dem Pastor Jean Bosc (1910-1969) gründete er die Protestantischen Berufsverbände, deren Ziel es ist, Berufstätigkeit und christliches Engagement in Einklang zu bringen.
Nach dem Tode von Jean Bosc, der ihm auch das Werk von Karl Barth nahegebracht hatte, übernahm Jacques Ellu die Chefredaktion von Foi et Vie und übte diese 17 Jahre lang aus.
Sein streitbarer Geist machte auch vor den Institutionen nicht halt. Er forderte eine Reform des Protestantismus, konnte nach lebhaften Diskussionen aber lediglich durchsetzen, dass 1973 das Theologiestudium teilweise umgestaltet wurde.
Der Schwung der Studentenbewegung von 1968 riss ihn zunächst mit, aber angesichts der Ausschreitungen der Vorkämpfer einer „proletarischen Revolution“ wandte er sich schon bald wieder von ihr ab und begnügte sich mit der Rolle eines Vermittlers zwischen den Ordnungskräften und den „Besessenen“.
In seiner Region Aquitanien fand er in Bernard Charbonneau einen Mitstreiter gegen das Projekt der Regierung, den Massentourismus durch ein dichtes Netz von Autobahnen, Hotelketten und Einkaufszentren in das südfranzösische Küstengebiet zu ziehen.
Ein Kritiker der Moderne
Die Originalität Jacques Elluls zeigt sich am deutlichsten in seiner scharfen Kritik der modernen Konsumgesellschaft, die für ihn in der Flut der Werbung und der Allgegenwart der neuen Kommunikationsmittel zu versinken droht : „Die Werbung verführt den Menschen dazu, sich nicht mehr auf seine Lebenserfahrung zu verlassen und nicht mehr aus persönlichen Beweggründen zu handeln ; er wird so zum Spielball der Marktforscher. […] Die technische Perfektionierung der Kommunikationsmittel entspricht gewissen Bedürfnissen des modernen Lebens, aber der Preis, der dafür zu zahlen ist, besteht im Verlust der Unverfälschtheit, der Qualität und selbst der Möglichkeit jeglicher zwischenmenschlicher Beziehungen„.
Für Ellul beherrscht die Warenproduktion die Bedürfnisse. Der Mensch muss konsumieren, was ihm geboten wird, und nicht, was er sich eigentlich wünscht.
Er vertritt das Individuum gegen den Staat, die Freiheit des Denkens und des Handelns gegen den Zwang zur Anpassung, die geistige Lebensqualität gegen den Materialismus. In seinen zahlreichen Büchern und Artikeln prangert er die politischen Illusionen und die verhängnisvollen Auswirkungen der ideologischen Leichtgläubigkeit sowohl der Marxisten als auch der Liberalen an.
Die an gesellschaftlichem Besitz und Erfindungskraft reichste Welt, die es je gegeben hat, produziert für ihn nur „heiße Luft“ und lenkt den Menschen ab von „aller Ethik des Handelns, die in der Hoffnung auf Auferstehung wurzelt„.
Aber seine Botschaft wurde nur teilweise verstanden. Es war schließlich seine Bekanntheit im Ausland und vor allem in den USA, die zur Anerkennung des Werkes von Jacques Ellul auch in Frankreich beitrug. Ihm ist eine eigene Website gewidmet.