Der Hirtenkalender (15. Jahrhundert)
Viele einfache Bauern haben sich vom Evangelium überzeugen lassen, das ihnen von Mönchen verkündet worden war, die die Ideen Luthers begeistert unter das Landvolk gebracht hatten. Aber sie waren leichtgläubig genug, um auf Händler von Horoskopen hereinzufallen, die in ihnen sehr „heilige Ängste“ erweckten, was der römischen Kirche und der Regentin Katharina von Medici durchaus nicht ungelegen kam.
Der seit Ende des 15. Jahrhunderts erscheinende Hirtenkalender enthält eine Menge praktischer Ratschläge und erbaulicher Geschichten, die mit der Bahn der Gestirne zusammenhängen und unverfroren Wissenschaft, Erfahrungsweisheiten und Aberglauben durcheinander rühren.
Calvins Hinweis beruft sich auf den Apostel Paulus
Brief des Paulus an die Galater (Kapitel 1, Vers 6-7, in der Übersetzung Luthers) : Mich wundert, dass ihr euch so bald abwenden lasset von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi, auf ein anders Evangelium ; so doch kein anders ist ; außer dass etliche sind, die euch verwirren, und wollen das Evangelium Christi verkehren.
Calvin führt in seinem Hinweis dazu aus : Schon seit langem hat es diese neugierige Tollheit gegeben, aus den Sternen herauslesen zu wollen, was den Menschen bevorsteht, das Schicksal zu erfragen und darüber nachzugrübeln, was zu tun sei. Wir werden hier zur Freude Gottes darlegen, dass es sich dabei um einen teuflischen Aberglauben handelt. In der Tat ist diese Tollheit von allen vernünftigen Leuten als höchst verderblich für die Menschheit zurückgewiesen worden. Heutigen Tages greift sie aber wieder um sich, und viele Leute, die sich für klug halten und die auch dafür gehalten worden sind, scheinen wie verhext zu sein.
Das listenreiche Vorgehen der gerichtlichen Sterndeutung
Calvin weist wiederholt und nachdrücklich darauf hin, was Wissen bedeutet : die Kenntnis der natürlichen Ordnung und der von Gott verfügten Anordnung der Sterne und Planeten, um ihre Aufgabe, ihre Eigenschaften und ihre Kraft zu beurteilen und dies alles in den Dienst des Menschen zu stellen.
Allerdings ist es leicht, hieran Spekulationen anzuknüpfen : Die Sterne zeigen uns den günstigen Moment zu säen oder zu pflanzen, zur Ader zu lassen oder eine Arznei zu verabreichen oder auch Holz einzuschlagen. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie uns ein Zeichen geben, ein neues Kleid zu tragen oder eine Ware lieber am Montag als am Dienstag zu verkaufen.
Calvin zögert : gibt es eine Verbindung zwischen der Sterndeutung und der Medizin ?
Calvin ist über den Fortschritt des Wissens stets auf dem Laufenden und legt großen Wert auf eine saubere und schlüssige Beweisführung. Das schließt aber nicht aus, dass er hin und wider unentschieden bleibt, vor allem dann, wenn die Sprache auf die Gesundheit kommt. Dieser Bereich war übrigens zu allen Zeiten der bevorzugte Tummelplatz der „Aufsteller“ von Horoskopen :
Auch leiten die Ärzte von der natürlichen Sterndeutung ihre Kenntnis des günstigen Zeitpunkts ab, um einen Aderlass oder einen Einlauf vorzunehmen oder Pillen zu verabreichen. Man wird also zugeben müssen, dass ein gewisser Zusammenhang zwischen den Sternen und Planeten und der Anordnung des menschlichen Körpers besteht…
So verschließen wir uns also nicht der Tatsache, dass die natürliche Sterndeutung tatsächlich einen gewissen Einfluss des Mondes auf das Leben hier unten nachweist : die Austern füllen und leeren sich zur gleichen Zeit wie der Mond, und das Knochenmark nimmt zu, wenn er zunimmt, und ab, wenn er abnimmt.
In der Tat sind jene Gelehrten, die im 16. Jahrhundert die Himmelskunde und die Medizin um wichtige Erkenntnisse bereichern, mit der Sterndeutung gut vertraut. Sie stehen untereinander im Briefwechsel und tauschen sich über die Möglichkeiten derartiger Zusammenhänge aus. Ambroise Paré, François Rabelais oder auch Michel Servet (dem wir bedeutende Arbeiten über den Blutkreislauf verdanken) bedienen sich unter anderem auch der Annahmen der Astrologen.
Calvin bestreitet die aus der Sterndeutung abgeleitete Vorherbestimmtheit
Er bestreitet, dass die Sterne etwas über die Vorherbestimmtheit des Menschen aussagen, und wählt dabei das Beispiel der Geburtshoroskope : verläuft etwa das Leben aller Menschen, die am selben Tag geboren sind, völlig gleich ? Haben Zwillinge ein absolut gleiches Schicksal ?
Calvin weist, nicht ohne boshaften Witz, auf die Willkür hin, die darin liegt, persönliche Horoskope auf den Tag der Geburt zu beziehen und nicht etwa auf den Tag der Empfängnis : könnten die Sterne denn nicht auch bitteschön etwas über die exakte Dauer der Schwangerschaft aussagen ? Auch bestreitet er die in Form und Inhalt der Horoskope enthaltene Annahme einer Vorherbestimmtheit, und das umso stärker, als darin ein Fingerzeig Gottes behauptet wird. Soll man also annehmen, fragt Calvin, dass der Lauf der Gestirne, ohne dass menschliche Einwirkung dabei ins Spiel käme, zum Beispiel den Ausgang von Schlachten bestimmt, oder den Tag und die Umstände des Todes ?
Derartige Annahmen führen nur zu einem riesengroßen Chaos :
Aus den Geschichtsbüchern erfahren wir, dass in Spanien in zwanzig Schlachten an die dreihunderttausend Menschen umgekommen sind. Selbst ohne weiteres Nachdenken springt doch sofort ins Auge, dass diese Toten unmöglich alle zur selben Stunde und unter den selben Sternen geboren sein können. In dieser Masse verhakeln sich Steinbock, Widder und Stier ganz schrecklich mit den Hörnern und drehen sich im Kreis ; der Wassermann spritzt was er kann und schafft eine riesige Überschwemmung ; die Jungfrau wird entjungfert, Skorpion und Krebs rennen rückwärts, der Löwe schleicht unbemerkt hinterdrein, die Zwillinge verwachsen zu einem Einling, der Schütze schießt in die Luft, die Waage hängt schief, und die Fische verstecken sich im Wasse,r bis keines mehr da ist.
Das alles hat aber nichts mit der Apokalypse zu tun
Die Sterndeuter bemühen auch unseren Herrn Jesus und sagen, es werde ein Zeichen am Himmel stehen, das den Tag seiner Wiederkunft ankündigt … das sollten wir ihnen freilich nachsehen, da die Heilige Schrift nun wirklich nicht ihre Sache ist … Nein : Jesus hat niemals von einer bestimmten Stellung der Gestirne gesprochen, die ja von der natürlichen Ordnung abhängt, sondern vielmehr von einer ganz außergewöhnlichen, nie gesehenen und mit nichts zu vergleichenden Erscheinung.