Eine unvoreingenommene Lektüre der Bibel
In den 1960 Jahren wurden sich zahlreiche amerikanische, aber auch deutsche Theologinnen des historischen Ausschlusses der Frauen von allen pastoralen Aufgaben und ihrer Nichtberücksichtigung in der Sprache der religiösen Erfahrung bewusst. Sie prangerten die Allgegenwart des Männlichen in den mit religiösen Symbolen verbundenen Darstellungen an, wie zum Beispiel das vorherrschende Bild der Vaterschaft Gottes. Durch diese Vermännlichung der Religion wird die Unterwerfung der Frau unter den Mann gerechtfertigt, da dieser als Gott näherstehend betrachtet wird.
Eine derartige Sehweise befestigt die Autorität der Männer in der Familie und in der Kirche und unterschlägt die maßgebliche Rolle der Frauen in der Weitergabe des Glaubens.
Ein tiefgreifendes Studium der Bibel führte zu einer Neubewertung jener Passagen, in denen die weiblich-mütterlichen Wesenszüge Gottes zutage treten. Aber die „verlorenen Töchter“, wie sie die französische Theologin Élisabeth Parmentier in Anlehnung an den Verlorenen Sohn aus dem Alten Testament nannte, gaben sich damit nicht zufrieden. Sie forderten eine Neugestaltung der Kirche und einen unvoreingenommenen Dialog zwischen den Vertretern der feministischen Theologien und denjenigen der klassischen christlichen Tradition, die sich bisher eher ablehnend gegenüber gestanden hatten.
Die meisten Feministinnen erinnerten nachdrücklich daran, dass die Kirche gleichermaßen von Frauen wie von Männern getragen wird. Sie wünschten sich, dass die Energie des Evangeliums die Teilhabe der Frauen an der Umgestaltung der innerkirchlichen Aufgabenverteilung nach sich ziehen und die weiblichen Gläubigen aus ihrem „Käfig“ befreien möge.
Die verschiedenen Strömungen der feministischen Theologien
Die in den USA und in Deutschland stark vertretenen feministischen Theologien teilen sich in zwei große Strömungen :
- Eine radikale Strömung sogenannter „post-christlicher“ Theologinnen, die den weitverbreiteten „Androzentrismus“ grundzätzlich infrage stellen. Sie wollen mit den Worten der deutschen Theologin Dorothee Sölle „kein Stück vom Kuchen, sondern einen anderen Kuchen“. Für die Vertreter dieser Strömung handelt es sich bei der Bibel um einen fundamental-patriarchalischen und „nicht mehr zu rettenden“ Text. Sie fordern eine neue Lektüre der Bibel mit den Augen der Frau, die der christlichen Theologie eine neue Richtung gibt.
- Die andere Strömung befürwortet eine neue biblische Hermeneutik (Erklärung, Verstehensweise, Auslegung), die eine weniger radikale Neuinterpretation der Botschaft des Evangeliums erlaubt. Die „Ehrenrettung“ gewisser biblischer Frauengestalten wie Myriam, Deborah oder auch Maria-Magdalena zeigt, dass die Bibel keine einstimmige Botschaft bezüglich der Frauen enthält. Die Hinterfragung gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen und Emanzipationsbewegungen innerhalb der Kirchen führt zu einer objektiven Neubewertung des weiblichen Rollenverständnisses.
Élisabeth Parmentier bemerkt dazu : „Die Bewußtseinswerdung der Frauen erfolgt innerhalb des weitgespannten Panoramas des Eintretens für die Menschenrechte, für die freie und gleichberechtigte Meinungsäußerung und Entscheidungsfreiheit sowie für die Möglichkeit eines jeden Menschen, ob Mann oder Frau, sich zu einem freien und in seinem Denken selbstbestimmten Wesen zu entwickeln“.
In diesem Sinne erscheinen die feministischen Theologien als eine Art Theologie der Befreiung.