Der Bruch mit Rom
Der englische König Heinrich VIII. will seine Gattin Katharina von Aragonien verstoßen, da sie ihm keinen Sohn geboren hat. Er bittet den Papst Clemens VII. um die Auflösung seiner Ehe. Katharina ist die Tante des Kaisers Karl V. Zwischen England und Spanien hin- und hergerissen, schiebt der Papst die Entscheidung vor sich her. Schließlich verliert Heinrich VIII. die Geduld und läßt 1533 die Auflösung seiner Ehe von einem Kirchengericht absegnen. Er heiratet die (1536 hingerichtete) Hofdame Anne Boleyn.
Der Papst schließt Heinrich VIII. aus der Gemeinschaft der Gläubigen aus. Daraufhin läßt dieser das englische Parlament 1534 die „Suprematsakte“ beschließen, durch die der König von England zum alleinigen Oberhaupt der Kirche seines Landes erhoben wird.
Ein Katholizismus ohne Papst
Heinrich VIII. führt einige Neuerungen ein. Er läßt die Klöster auflösen und ihren Besitz verkaufen. Diese Enteignungen stoßen kaum auf Widerstand, da der riesige Kirchenbesitz (rund ein Drittel des englischen Königreiches) der Öffentlichkeit schon seit langem ein Dorn im Auge ist.
Anschließend verfügt Heinrich VIII., daß jede Kirchengemeinde eine Bibel in englischer Sprache anschaffen soll ; das Neue Testament war 1526 von Tyndale und das Alte Testament 1535 von Coverdale übersetzt worden.
Bewegt sich England damit schon auf den Protestantismus zu ? Nein, denn Heinrich VIII. bleibt dem Katholizismus eng verbunden. 1539 legt er die „6 Artikel“ („Blutiges Statut“) vor, in denen die Ideen Luthers scharf zurückgewiesen werden, und läßt diese Artikel vom Parlament in Kraft setzen. Heinrich VIII. hat eine von Rom unabhängige Kirche gegründet, in der es keine Ordensgeistlichkeit mehr gibt, die aber den Glaubensgrundsätzen des Katholizismus treu bleibt.
Die Protestanten unter Heinrich VIII.
Die Ideen Luthers werden seit 1520 in Cambridge im Augustinerkloster und in der Universität diskutiert. 1525 wird die „Gruppe von Cambridge“ ausgehoben ; einige ihrer Mitglieder gehen ins Exil.
Thomas Cranmer, der Erzbischof von Canterbury, ist von den Ideen Luthers stark beeindruckt. Er heiratet sogar insgeheim die Nichte eines lutherischen Theologen. Er spielt keine große politische Rolle, aber als Theologe gewinnt er nach der Auflösung der Ehe von Heinrich VIII. und Katharina von Aragonien zunehmend an Einfluß.
Eduard VI. und der Übertritt Englands zur Reformation
Als Heinrich VIII. 1547 stirbt, ist sein Sohn Eduard VI. erst neun Jahre alt. Sein Regentschaftsrat sowie Thomas Cranmer, der Erzbischof von Canterbury, öffnen England für die Reformation.
Zahlreiche Reformatoren vom europäischen Kontinent treffen in England ein. John Knox wird Kaplan von Eduard VI. ; Martin Butzer, der Reformator von Straßburg, wird Professor an der Universität von Cambridge. Er bringt Cranmer dazu, die reformierte Theologie in ihrer Gesamtheit zu übernehmen.
1549 wird in England die katholische Messe abgeschafft. Eine neue englische Gottesdienstordnung wird eingeführt : das „Common Prayer Book“ (Allgemeines Gebetsbuch). Es ist das Hauptwerk von Thomas Cranmer und bleibt in der Anglikanischen Kirche bis in das 20. Jahrhundert hinein in Gebrauch.
Zeitweilige Rückkehr zum Katholizismus unter Maria I. Tudor
Maria I. Tudor ist die Tochter von Heinrich VIII. und Katharina von Aragonien (und seit 1554 Gemahlin Philipps II. von Spanien). Nach ihrer Machtergreifung (1553) setzt die glühende Katholikin den Katholizismus in England unter der Oberhoheit des Papstes wieder in seine alten Rechte ein.
Eine wahre Jagd auf die Protestanten beginnt. 300 Protestanten werden lebendig verbrannt, darunter mehrere Bischöfe und 1556 auch Thomas Cranmer, der 20 Jahren lang Erzbischof von Canterbury gewesen ist. Diese Hinrichtungen schaffen in der englischen Öffentlichkeit eine gegen Rom gerichtete Stimmung und tragen Maria Tudor den Beinamen „Bloddy Mary“ (Blutige Maria) ein.
Sie stirbt 1558 ohne Nachkommen. Elisabeth I. folgt ihr auf dem Thron.
Elisabeth I. und die Einrichtung der Anglikanischen Staatskirche
Elisabeth ist die Tochter von Heinrich VIII. und Anne Boleyn. Sie besteigt den Thron mit Unterstützung der protestantischen Partei. Es ist nie ganz klar geworden, ob sie ihrer inneren Überzeugung nach Protestantin war. Auf jeden Fall braucht sie den Rückhalt im protestantischen Lager, um regieren zu können.
Elisabeth setzt die „Suprematsakte“ wieder in Kraft und erklärt damit das Staatsoberhaupt Englands zum alleinigen Oberhaupt seiner Kirche.
Sie ernennt neue Bischöfe und beauftragt diese mit der Überprüfung der kirchlichen Glaubenslehre. Die daraufhin verfaßten „39 Artikel“ werden zur theologischen Grundlage der Anglikanischen Staatskirche. Sie sind von der Lehre Luthers, Calvins und Butzers geprägt.
Allerdings bricht Elisabeth nicht völlig mit der katholischen Tradition. Der Gottesdienst und die Organisation des Kirche erinnern stark an den Katholizismus. Elisabeth schafft einen Ausgleich zwischen protestantischen und katholischen Bestandteilen des Kirchenlebens. Der Anglikanismus wird daher oft als „Mittelweg“ zwischen den christlichen Konfessionen bezeichnet.