Der Prophetismus

In den auf die Aufhebung des Edikts von Nantes folgenden Jahren wird die protestantische Bevölkerung im Süden Frankreichs von einer prophetischen Bewegung erfasst, die der reformierten Tradition eigentlich fremd ist und aus der dann der Kamisardenkrieg entsteht.

Die Anfänge der prophetischen Bewegung

Die Kleinen Propheten: Isabeau Vincent (Gravur von S. Bastide) © Samuel Bastide - Musée du Désert

1688 entsteht in der Dauphiné eine Bewegung eigener Art im Protestantismus : der Prophetismus. Eine junge Hirtin, Isabeau Vincent, aus Saou, in der Nähe von Crest (Drôme), spricht im Schlaf, zunächst in ihrem Heimatdialekt und dann auf Französisch. Ihre Rede besteht aus einer Folge von Bibelversen oder -stellen, die genau zu den gegebenen Umständen passen wie : „Seid standhaft – sucht Gottes Wort, ihr werdet es finden, wenn ihr Buße tut“ (« Tenez ferme – cherchez la Parole, vous la trouverez par la repentance »).

Die Menschen kommen in Scharen, um sie zu hören. Nach kurzer Zeit wird sie verhaftet, in Crest ins Gefängnis geworfen und dann in ein Kloster gesperrt. Aber die Bewegung der „kleinen Propheten“ geht weiter und verbreitet sich 1689 auch im Vivarais. Dem Ruf der Inspirierten folgend wächst die Zahl der Versammlungen ohne jede Vorsicht. Durch eine gnadenlose Verfolgung werden sie hinweggefegt.

Die prophetische Sprache

Die kleinen Propheten der Cevennen © Collection M. Chaleil

Die Propheten sind in ihrer großen Mehrheit junge Frauen oder junge Männer. Sie stammen aus dem Volk, die meisten sind Analphabeten und sprechen nur ihren heimatlichen Dialekt. Das erklärt das Staunen, wenn man sie auf Französisch prophetisieren hört, auch wenn ihr Französisch etwas holprig ist. Dies lässt sich durch ein eifriges Lesen des Bibeltextes auf Französisch und ein hervorragendes Hörgedächtnis erklären.

Diese Propheten sagen : „Tut Buße, geht nicht mehr zur Messe, wendet Euch vom Götzendienst ab“ (« Repentez-vous, n’allez plus à la messe, renoncez à l’idolâtrie »). Tut Buße für das massenhafte Abschwören im Jahr 1685 ; hört auf so zu tun, als ob ihr noch Katholiken wärt, denn der „Untergang Babylons“ (das Ende der katholischen Kirche) ist nahe. Diese Prophezeiung wird genährt durch einen 1686 veröffentlichten Text von Pierre Jurieu « L’accomplissement des prophéties  » (Die Vollendung der Prophezeiungen), der die Befreiung der Gläubigen binnen einer Frist von drei Jahren ankündigt.

Ihre flammenden Worte werden von einer beeindruckenden Gestik begleitet : die Propheten stöhnen, schluchzen, zittern, beben an allen Gliedern, fallen hin und bleiben einige Minuten lang wie leblos am Boden liegen.

Dies ärgerliche Verhalten wird fast allgemein getadelt.

Der Tadel der Protestanten und der Katholiken

Nicht nur die Katholiken, sondern auch die Protestanten des Refuge sind sich in ihrem Tadel einig : Wer sind diese Leute aus dem Volk, die es wagen, etwas von Religion verstehen zu wollen ? Sie werden als Betrüger, Schwindler, Komödianten, Irre, Kranke beschimpft. In der Tour de Constance in Aigues-Mortes, in der zahlreiche inspirierte Frauen inhaftiert sind, macht der vom Intendanten Basville geschickte Arzt tägliche Besuche, um diese „Kranken“ zu untersuchen.

Einige verbreiten die Idee einer „Prophetenfabrik“, wo Kindern das Simulieren beigebracht werde. Die Propheten werden als „Hunde“ oder „Wölfe“ beschimpft, am häufigsten werden sie jedoch als „Fanatiker“ bezeichnet. Die Pastoren im Refuge, mit der bemerkenswerten Ausnahme von Pierre Jurieu, behandeln diese „kleinen Propheten“ mit Geringschätzung und Verachtung.

Der Kamisardenkrieg

Die schrecklichen Verfolgungen hatten die kleinen Propheten des Vivarais zum Verstummen gebracht, aber zehn Jahre später, nach dem Tod von Claude Brousson 1698 und nach dem Ende der letzten Prädikanten entsteht die Bewegung erneut und versetzt die Cevennen und das Languedoc in Aufruhr.

Durch seine Deutung eines Traums „von großen schwarzen Ochsen, die den Kohl im Garten fressen“, als Aufruf zur Vertreibung der an der Verfolgung beteiligten römisch-katholischen Geistlichen, löst der Prophet Abraham Mazel mit der Ermordung des Abbé du Chayla den Kamisardenkrieg aus. Es ist ein „heiliger“ Krieg, in dem die Propheten eine wichtige Rolle spielen : je nach den Erleuchtungen, die diese erhalten, beschließen die Rebellen anzugreifen oder den Rückzug anzuordnen, ihre Gegner hinzurichten oder Gnade walten zu lassen.

Das Ende des Prophetismus

Gedenktafel der Ersten Desert-Synode in Montèzes bei Monoblet (1715) © H. Ayglon

Nach dem Ende des Kamisardenkriegs sind einige Propheten weiterhin in den Cevennen aktiv.

Auf der Synode von Montèzes nimmt Antoine Court 1715 eine Neuorganisation der reformierten Kirchen im Untergrund vor und stellt die Kirchenordnung wieder her.

Der Kamisarde und Prophet Elie Marion, der in Englang Zuflucht gefunden hat, versucht, die Prophetenbewegung zu verbreiten. Er reist durch Europa, findet jedoch außer bei einigen deutschen Pietisten kaum Wiederhall.

Bibliographie

  • Bücher
    • CABANEL Patrick et JOUTARD Philippe, Les camisards et leur mémoire, 1702-2002, colloque du Pont-de-Montvert (25 et 26 juillet 2002), Presses du Languedoc, Montpellier, 2002, p. 278
  • Artikels
    • CHABROL Jean-Paul, „Le prophétisme cévenol de 1685 à 1702“, Bulletin de la SHPF, SHPF, Paris, 2002
    • VIDAL Daniel, „De l’insurrection camisarde : une prophétie entrée en révolte“, Les Camisards et leur mémoire, dir. CABANEL Patrick et JOUTARD Philippe, Presses du Languedoc, Montpellier, 2002

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